Ein Schuss und eine Granate

Zweimal binnen weniger Stunden ums Leben gekommen – das ist die Bilanz des ersten Tages beim Journalistentraining bei der Bundeswehr in Hammelburg. War aber nur eine Übung, geschossen wurde mit Platzpatronen, und deshalb gibt’s nun eine Tageszusammenfassung.

Bonnland wäre das Ende gewesen. In dem Rhöndorf hätte ein Heckenschütze mich und meine drei Begleiter erschossen, auch vor der auf uns geschleuderten Handgranate hätte wir nicht rechtzeitig in Deckung gehen können. Und Reporter ohne Grenzen hätte die Liste der in Krisengebieten getöteten Journalisten um vier Namen ergänzen können.

Unser Glück: Den Krieg in Bonnland gibt es nicht, auch das Dorf ist keine echte Ortschaft, sondern ein beim Ausbau des Truppenübungsplatzes Hammelburg Anfang der 1930er Jahre geräumtes Dorf. Die Häuser stehen noch, sind renoviert, die Straße glatt asphaltiert, die Bürgersteige akkurat gepflastert. Die Bundeswehr nutzt den Ort zum Training – und lädt regelmäßig auch Journalisten ein, sich in Krisensituationen zu bewähren.

Es ist befremdlich, durch ein scheinbar intaktes Dorf zu laufen – der weiß verputzte Kirchturm mit zwiebelförmigem Turmhelm überragt die schnuckeligen Fachwerkhäuser und der historische Bürgermeisterhaus – und beim Gang durch die Straßen niemanden zu treffen. Jeder von uns weiß, es ist eine Übung, es wird gleich geschossen – mit Platzpatronen. Doch wenn der Knall zu hören ist, packt einen ein Gefühl von Hilflosigkeit. Wo versteckt sich der Schütze? Wo in Deckung gehen, damit man ihm nicht noch in die Arme läuft und praktisch auf den Präsentierteller legt?

Peng, einundzwanzig, zweiundzwanzig – meine Begleiter sind davon gerannt, und ich erst jetzt hinterher. Hinter einer Mauer suchen wir Schutz. Kurz beraten, den hinter uns liegenden Hof erkundet. Wir sind in einer Sackgasse, müssen auf die Straße zurück. Ob der Schütze noch da ist? Ein Pfiff unseres Begleitfeldwebels. Training unterbrochen. Wir kriechen aus dem Versteck. Die Auswertung: Wir sind viel zu spät weggelaufen und das auch noch ziemlich planlos, keiner hatte Ahnung, woher der Schuss kam. Die Auflösung: Er zielte aus dem Erkerfenster des Hinterhauses auf der anderen Straßenseite, aber so tief aus dem Inneren, dass der Gewehrlauf von außen nicht zu sehen war.

Den ersten Schock noch in den Gliedern geht es weiter. Ein aufdringlich wirkender Passant läuft von hinten auf uns zu. Eine Falle? Schnell weiter gehen, bloß nicht stehen bleiben. Ach ne, auch das war falsch. Der Statist sollte bloß einen kontaktfreudigen Bewohner Bonnlands darstellen. Im Gespräch hätte er wichtige Infos gegeben. Wir haben ihn wie arrogante Reporter aus dem fernen Westen abgekanzelt, die für ihre Reportage es nicht mal als nötig erachten, mit Einheimischen zu sprechen.

Nun geht’s rechts herum auf den Gutshof in Richtung Milchtanker. Ein dumpfer Schlag. Neben uns fällt eine Handgranate auf den Boden. Bis sie detoniert und umherfliegende Splitter alles im Umkreis von 25 Metern durchlöchern, bleibt nur ein Augenblick. Ich renne los. Die knöchelhohen Schuhe werden zu Bleiklumpen, die schwere Splitterschutzweste wird tonnenschwer, unter dem Schutzhelm bilden sich Schweißperlen. Ich werfe mich in einer Häuserecke auf den Boden, schramme mit dem Ellenbogen leicht an der Wand entlang. Immerhin, das in Deckung gehen hat geklappt, doch von der Granate bin ich bestenfalls 15 Meter entfernt. Im Kriegsgebiet wären die Überlebenschancen gering. Doch die Granate explodiert nicht, auch der Knall der Platzpatrone bleibt aus. Sogar die Übungsmunition versagt.

Weitere Katastrophen bleiben uns erspart. Vor dem um die Ecke rasenden Wagen mit Attentätern flüchte ich hinter einen abgestellten Lkw. Der Schießerei zwischen der Polizeistreife und Aufständischen entgehen wir, indem wir uns blitzschnell auf den Boden werfen. Die Schutzweste ist nun eher staubgrau als tarnfarben-gefleckt. Aufgeschrieben hat bisher niemand von uns etwas im Reporterblock, dafür war einfach zu viel passiert.

Alle Folgen:
Folge 1: Kleines Kriegs-Tagebuch
Folge 2: Hammelburg
Folge 3: Eingerückt
Folge 4: Ein Schuss und eine Granate
Folge 5: Nord gegen Süd
Folge 6: Betreten
Folge 7: Auftrag und Bearbeitung
Folge 8: Im Gefecht
Folge 9: Gewehrmündung im Gesicht
Folge 10: Auftrag und Ideologie
Folge 11: Entführung
Folge 12: Aus Schaden wird man klug

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