Gewehrmündung im Gesicht

Zum ersten Mal fühle ich mich nicht bloß unwohl, sondern wirklich machtlos. Ich blicke in die Mündung eines Revolvers. Mein Gegenüber spricht nicht mit mir. Er schreit in gebrochenem Englisch und befiehlt: “On your knees” und “Hands in the neck”. Wie es dazu kam.

Tag 3 des Journalistentrainings bei der Bundeswehr. Nun soll es realistisch werden. Für uns stehen Kleinbusse bereit – vom deutschen Bataillon bei den Vereinten Nationen in der fiktiven Krisenregion Rhönlandgestellte Journalistentaxis, heißt es. Vor dem Einsteigen bekommt jede der vier Busbesatzungen eine Presseeinladung. Vom Bürgermeister eines Dorfs im Süden des Krisengebiets. Er will über die schlechte Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Medikamenten klagen und wir sollen berichten.

Dazu gibt es weitere Informationen von Seiten des Militärs. Mehr Landminen sind verlegt worden, einige Strecken unpassierbar, das deutsche Bataillon empfiehlt eine Route, die gesichert worden ist. Dazu die Auskunft, dass im Süden der Region der Unmut wächst, da aus Sicht der Bevölkerung der Norden, der sich abspalten will, mehr Unterstützung von den Uno-Truppen bekommt. Außerdem wird verstärkt das Waffenstillstandsabkommen gebrochen.

Nichts desto trotz, wir brechen auf. Zwei Kleinbusse sollen jeweils im Konvoi fahren. Wir treffeb Vorkehrungen: Bringen “Press”-Schilder an den Scheiben der Fahrzeuge an. Tauschen Handy-Nummern aus. Falls unsere Fahrer, die beide aus dem Süden stammen, mit Aufständischen kooperieren sollten, und uns in eine Falle kutschieren, wollen wir sofort Kontakt aufnehmen. Für den Fall, dass die Kleinbusse gegen unseren Willen verschiedene Wege fahren, vereinbaren wir das Kommando, sofort anhalten.

Die Fahrt beginnt. Es geht durchs hügelige Rhönland. Hinter jedem Holzstapel am Wegrand vermuten wir Ungemach. Doch zwanzig Minuten lang bleibt alles ruhig. Dann Abbiegen von der Hauptstraße. Bergab, zwei enge Kurven. Stopp! Zwei Vermummte springen auf die Fahrbahn. Beide haben Maschinengewehre im Anschlag, einer hat noch eine Mine in der Hand. Wir halten. Vollgas wäre zwecklos, das MG-Feuer würde den Kleinbus durchlöchern. Möglicherweise würden einige von uns getroffen werden.

Jeder beginnt die vorab besprochene Checkliste im Kopf durchzurattern. Fenster zum Gespräch nur einen Spalt breit öffnen, wenn nach Ausweisen verlangt wird, diese zeigen, aber nie aus der Hand geben…. Bringt nichts, die zwei Schützen vorn kommen näher. Der Kofferraum wird aufgerissen. Niemand hatte bemerkt, dass ein dritte Mann von hinten gekommen ist. Mist, warum ist der Kofferraum nicht abgeschlossen. Das hatte niemand überprüft, warum auch alles checken. Der Wagen wurde durch von den Vereinten Nationen gestellt. Leichtsinn, auf den einheimischen Fahrer, der kaum spricht, hätte man sich nicht so blind verlassen sollen.

“Heads down”, “Hands in the neck”, “Close your eyes” schreit der dritte Mann und fuchtelt dabei mit einem Gewehr. Flüchten? Entkommen? Keine Chance. Die beiden anderen springen auch in den Wagen. Noch mehr Geschrei. “We are journalists. We have no weapons with us”, versucht einer von uns zu erklären. Kurze Antwort darauf: “Shut up!” Die drei Männer befehlen, weiter zu fahren. Um eine Kurve, dann aussteigen. Am Wegrand knien, Blick zum Boden, Hände am Kopf. Minuten vergehen, einer von uns versucht, mehrfach mit den Männern – es müssen mehr gekommen sein, mindestens zehn und alle bewaffnet – zu verhandeln. Konsequenz: Er wird von der Gruppe getrennt und auf einen Waldweg geführt.

Minuten vergehen, gefühlt wie eine Ewigkeit. Dann kommt ein bewaffneter Koloss, vor dem man sich schon fürchten könnte, wenn er ohne Gewehr nur mit geballten Fäusten käme. Er fragt nach dem Anführer von uns. Mist, das bin ich. Er verhandelt, will Geld, denn wir seien auf einer Straße durch das Gebiet seiner Gruppe unterwegs. Er rechnet vor: ein Kleinbus – 1000 Dollar, der zweite Bus nochmal 1000 Dollar, zwei Frauen dabei – macht nochmal 1000, für jede (warum, das erklärt er nicht), dann mein aus seiner Sicht renitenter Begleiter, nochmal 1000 Dollar. Am Ende seiner abenteuerlichen Addition ist er bei 8000 Dolar angelangt, bar und sofort, dann können wir weiter fahren, sonst nicht. (Was dann mit uns passiert, bleibt offen.)

Wir zählen Geld, werden abgetastet, alle Armbanduhren und Handys einkassiert. Ihm reicht’s nicht. “I must wake up my boss. He will be very angry!”, sagt er und stapft davon. Minuten vergehen, ich werde zum Boss gebeten, muss in einem Zeltverschlag vor einem Tisch knien. Er schreit, verdreht meine Worte, blickt auf mich herunter. Vor meinen Augen nicht sein Gesicht, sondern die Tischplatte und ein Revolver, dessen Lauf auf mich zeigt. Alles feilschen – ich biete auch noch einen der Kleinbusse (dann müsste wir uns halt in den zweiten quetschen) – genügt nicht. Er will, dass wir weiterfahren und mit Kisten von Nahrungsmitteln und Medikamenten wieder kommen. Die Frauen, mit denen er nicht direkt reden wolle, sollte dabei bleiben. Ich werde, bis wir zurückkehren, mit ihnen machen, wozu er Lust habe.

Darauf kann ich mich unmöglich einlassen. Wir feilschen, er geht auf kein Angebot ein. Er beginnt zu regnen. Haben die Trainer von der Bundeswehr das Unwetter für die Übung bestellt? Binnen Minuten weicht der Waldboden auf, wird zu einer schmatzenden Schlammwanne. Ich bekomme zwei Minuten, um mit dem Rest der Gruppe zu entscheiden – die knien alle im Schlamm. Einer Hünen steht dabei und schreit in 20-Sekunden-Takt, wie viel Zeit wir noch haben. Unser Entschluss: Wir bleiben alle, niemand soll ohne den Rest zurückbleiben. Dass nur die Frauen bleiben und die Männer weitefahren, war für mich ohnehin indiskutabel. Doch was wird?

Ein Pfiff aus der Trillerpfeife. Der Major, der die Übung organisiert hat, kommt aus den Büschen und bricht ab. Erleichterung. Ich war mit meinem Latein am Ende, sah mich als Geisel in einem Schlammloch. Auch ein wenig Schadenfreude: unsere Trainer von der Bundeswehr, die sich dieses nervenzehrende Szenario ausgedacht hatten, sind genauso durchnässt wie wird. Sie haben im Wald stehend alles beobachtet, die Uniformen kleben ihnen wie eine zweite Haut auf den Körpern.

Zur Auswertung dürfen wir in ein Zelt. Lob: Wir haben mit dürftigen Karten genau die als minensicher genannte Route gefunden. Wir haben nicht versucht, die Straßensperre zu durchbrechen. Der mögliche Kugelhagel wäre in der Realität wohl für einige tödlich gewesen. Wir haben den Guerilla-Kämpfern immer die Wahrheit gesagt (Lügen können tödlich sein, wenn sie Gruppenmitglieder in getrennten Befragungen in Widersprüche verwickeln). Wir haben keine falschen Versprechen gemacht, und wir haben uns geweigert, die Frauen allein zurückzulassen. Kritik: Wir haben die Autotüren nicht verriegelt, den Kofferraum überhaupt nicht geprüft, anfangs den Guerilleros zu viele Widerworte gegeben und damit die Situation unnötig zugespitzt.

Was offen bleibt: Wir waren bei Übungsabbruch nicht frei. Wie das gelungen wäre? Naja, es gebe halt kein Patentrezept. Na, vielen Dank. Nach Hause geht’s nicht. Es gibt einen neuen Auftrag, angeblich eine neue Pressekonferenz, die wir im Auftrag unserer Heimatredaktion besuchen sollen. Auch dort kommen wir nicht an. Diesmal versperrt ein offizieller Kontrollposten den Weg. Zeitraubende Kontrolle, dauert eine halbe Stunde. Maschinengewehre im Anschlag, böse Minen, mit einem europäischen Grenzübergang ist das kaum zu vergleichen. Dann ein Zwischenfall. Guerillas überfallen den Posten vor unseren Augen. Schießerei, viel Theaterblut, Verwundete. Wir werden gezwungen, erste Hilfe zu leisten. Zweiter Termin auch geplatzt.

Nun geht’s zurück. Viel Geschrei, Platzpatronenknalle erlebt. Aber nichts geschrieben. Wohl das Schicksal eines Krisenreporters, in dessen Rolle wir in der Realität immer weniger gern schlüpfen wollen. Berichten wird offenbar zur Nebensache, je brutaler ein Konflikt ist. Immer mehr Organisation ist nötig. Wo fahre ich lang? Wie viele Stunden fahre ich früher los, um Zwischenfälle miteinzukalkulieren? Was nehme ich mit, da Wertsachen gern von (il-)legalen Kontrolleuren auf dem Weg einbehalten werden? Und wie gehe ich mit dem Stress um? Darauf soll am Abend uns ein Militärpsychologe Antworten geben….

Alle Folgen

Folge 1: Kleines Kriegs-Tagebuch
Folge 2: Hammelburg
Folge 3: Eingerückt
Folge 4: Ein Schuss und eine Granate
Folge 5: Nord gegen Süd
Folge 6: Betreten
Folge 7: Auftrag und Bearbeitung
Folge 8: Im Gefecht
Folge 9: Gewehrmündung im Gesicht
Folge 10: Auftrag und Ideologie
Folge 11: Entführung
Folge 12: Aus Schaden wird man klug

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