Das große Umräumen

Frankfurter Rundschau vom 14. März 2009

Supermärkte holen neue Hausmarken in die Läden / Traditionsartikel geraten unter Druck: Es tut sich was in Deutschlands Supermärkten. Hunderte Artikel sind in den vergangenen Monaten neu in die Läden gekommen – Kekse, Fertiggerichte, Aufschnitt, Küchenpapier – nochmals Hunderte Artikel stehen auf der Liste, die Rewe oder Real in ihre Regale stellen wollen.

Es ist eine schleichende Veränderung, die nicht jeder Kunde sofort bemerkt. Die Säfte, Nudeln und Wurst gab es schon vorher. Doch die höherklassige Ware kommt nun in vornehm gestalteten Schachteln und Tüten daher, und zwar mit dem Logo des Filialisten. Damit macht der Einzelhandel mit neuen Hausmarken angestammten Erzeugern Konkurrenz.

„Der Handel entdeckt sich als Marke“, fasst Experte Marco Atzerger vom EHI Retail Institute die Entwicklung zusammen. Die neuen Produkte – im Fachjargon Premium-Handelsmarken – heißen genauso wie der Supermarkt, in dem sie angeboten werden. Schachteln bei Rewe tragen in der Ecke einen Aufdruck, der wie eine Miniatur des Schriftzugs über dem Ladeneingang aussieht.

Die Metro-Tochter Real hat nach eigenen Angaben rund 1000 Artikel der Handelsmarken Real Quality und Real Selection eingeräumt – immer mit der typischen Komma-Strich-Zeichenkombination hinter dem Firmennamen. „Der heutige Supermarkt unterscheidet sich deutlich von einem vor Jahren“, sagt Hubertus Pellengahr, Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE). Er ist überzeugt: „Der Trend wird sich fortsetzen.“

Anders als Produkte von altbekannten Herstellern gibt es die neuen Artikel jeweils nur bei einer Kette. „Wenn Kunden den Joghurt bei jedem Händler bekommen, dann werden Händler austauschbar. Die Kettenwollen aber unverwechselbarer werden“, erklärt Handelsforscher Atzberger. Sie verfolgen damit eine Strategie, die die britische Supermarktkette Tesco seit Jahren anwendet. Kunden sollen am ersten Regalmeter erkennen, bei wem
sie ihr Geld ausgeben. Ein Real-Sprecher formuliert es so: „Langfristige Kundenbindung und Neugewinnung sind die obersten Ziele bei der Implementierung von Eigenmarken.“ Wem die neuen Artikel gefallen, der soll fortan immer bei derselben Kette einkaufen.“

Als Lockmittel dient den Händlern nicht mehr vorrangig der Preis. Schnäppchenjagd war gestern, heute geht’s auf Qualitätssuche. „Die neuen Marken sollen zeigen, dass sie keine günstigen Discount-Produkte sind, sondern dass sie mit hochwertigen Markenprodukten konkurrieren können“, erklärt Kerstin Lehmann vom Berater OC&C. Schon die Schachteln und Tüten werden so gestaltet, dass sie Höherwertiges ankündigen. „Ist eine Verpackung dagegen weiß und schlicht gestaltet, sieht der Käufer, dass das Produkt günstig ist“, sagt Lehmann.

Seit Jahren versuchen Rewe mit „Ja“-Produkten, Tengelmann mit der Reihe „Attraktiv und Preiswert“ oder Real mit den „Tip“-Artikeln bei den Preisen den Discountern wie Aldi und Lidl Paroli zu bieten. Nun haben die Unternehmen im margenschwachen Supermarktgeschäft andere Kontrahenten im Blick. „Das Hauen und Stechen geht nicht nur gegen die Discounter. Die Ketten versuchen, sich gegenseitig Marktanteile abzujagen“, sagt Lehmann. Ganz egal ist der Verkaufspreis dabei nicht, aber die neuen Produktlinien sollen nur etwas billiger sein als Markenware. Die Tafel Schweizer Schokolade aus der Real-Selection-Linie liegt deutlich über der bedeutenden Ein-Euro-Schwelle, ist mit 1,19 Euro aber günstiger als die Tafel vom Traditionshersteller für 1,59 Euro.

Eine Strategie, die aufgehen kann. „In der Krise schieben Verbraucher große Anschaffungen auf, aber bei kleinen, alltäglichen Sachen gönnen sie sich etwas“, sagt Thomas Kirschmeier vom Rheingold-Institut für Marktanalysen. Doch noch haben die Filialisten ihre Premium-Handelsmarken nicht so etabliert, dass Kunden sie als Ersatz für Traditionsprodukte wahrnehmen. „So weit sind die noch nicht“, so Kirschmeier.

Aber die Ketten arbeiten daran. Nach Unternehmensangaben sollen es 2400 Produkte mit Real-Quality-Aufdruck in die schöne neue Warenwelt schaffen, die offenbar nur Gewinner kennt: Ketten, die mehr Kunden locken, und Käufer, die hochwertige Lebensmittel für weniger Geld bekommen. Doch die Verlierer stehen bereits fest. „Besonders die Marken, die nicht ganz hervorragend sind, geraten unter Druck“, sagt EHI-Experte Atzberger. Produkte, die nicht führend und deren Namen weniger bekannt sind, die seltener gekauft werden, laufen Gefahr, „ausgelistet zu werden“, wie es in der Branche heißt. Der Aufstieg der Premium-Handelsmarken heizt einen Wettkampf um Plätze in den Supermarktregalen an, bei dem Hersteller ungleiche Chancen haben. „Auf starke Marken kann keiner verzichten“, befindet HDE-Sprecher Pellengahr. „Aber die 1B-Marken müssen dran glauben.“ Welche das sind, dazu hält sich die Branche bedeckt. Pellengahr dazu lediglich: „Coca-Cola und Mars muss es in jedem Supermarkt geben.“

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