Mit der Kraft des Drachens

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. März 2011

Aus einem Kinderspiel wird ein Geschäft – so lässt sich die Geschichte von Skysails zusammenfassen. Das Hamburger Unternehmen will mit Zugsegeln die Schifffahrt verändern. Jetzt steht der erste große Auftrag in den Büchern.

Aus einem Kinderspiel wird ein Geschäft – so lässt sich die Geschichte des Hamburger Unternehmens Skysails zusammenfassen. Skysails hat sich zum Ziel gesetzt, moderne Frachter auf Überseerouten mit der Kraft des Windes zu beschleunigen. Doch mit Schiffen, auf denen Matrosen Segeltücher an hohen Masten entrollen, hat das Konzept nichts zu tun. Skysails arbeitet daran, dass Reeder am Bug ihrer Frachter Lenkdrachen aufsteigen lassen, wie Kinder am Strand. Allerdings sind die Drachen, die Schiffe über die Meere ziehen können, um einige Klassen größer. Mit ihnen ließe sich ein Einfamilienhaus zudecken.

2011 soll nach einem Jahrzehnt des Schwärmens, Planens, Entwickelns und Testens der Durchbruch gelingen. Zu Jahresbeginn hat Skysails bei Investoren 15 Millionen Euro eingesammelt, um den Markt für moderne Schiffsantriebe aufzuwirbeln. Nun ist der größte Auftrag in der Unternehmensgeschichte eingegangen. Der Genfer Nahrungsmittel- und Landwirtschaftskonzern Cargill orderte für ein Schiff seiner Transportsparte ein 320 Quadratmeter großes Zugsegel. Der Schüttgutfrachter ist das bislang größte Schiff, das Skysails ausrüstet. Darüber hinaus rechnet das Unternehmen, das am Ufer des alten Hafens im Hamburger Ortsteil Harburg sitzt, mit bis zu 20 Bestellungen. “Für eine breite Etablierung unserer Produkte in der internationalen Schifffahrt sprechen wir derzeit mit interessierten Investoren”, sagt Skysails-Gründer Stefan Wrage. Jede Vertragsunterzeichnung dürfte bestätigen, dass er keine windige Geschichte erzählte, als er vor zehn Jahren mit dem Schiffbauingenieur Stefan Meyer das Unternehmen gründete und erstaunten Zuhörern erklärte, dass Lenkdrachen Frachter bewegen können.

Wohlwollende hielten den damals 27 Jahre alten Wrage für einen Träumer. Traditionalisten bezeichneten ihn als Spinner. Aber er fand Unterstützer. Einer war André Tonn von der Oltmann-Gruppe, die als Emissionshaus für Schiffsfonds eher im Ruf steht, waghalsige Geschäfte zu meiden. Doch für diesen Ausflug auf unbekanntes Terrain – es war die erste Technologiefinanzierung des Hauses – sammelte Tonn in zwei Runden Anlegergeld. Die Gruppe ist nun der größte Finanzierer von Skysails, aber längst nicht der einzige. Vor zwei Jahren stieg Zeppelin Power Systems ein, seit einigen Wochen ist auch der niederländische Konzern DSM im Boot.

Auch einige Reeder vertrauten früh auf die Kraft der Drachen. Niels Stolberg, der Chef der Bremer Gesellschaft Beluga Shipping, ließ Anfang 2006 einen Spezialgutfrachter kraftstoffsparend beschleunigen und das 132 Meter lange Schiff auf den Namen “Beluga Skysails” taufen. Fortan hatten die Drachenbauer nicht nur einen Tester, sondern auch einen zugkräftigen Werbeträger. Mittlerweile setzt auch die Reederei Wessels aus dem Emsland auf die 160 Quadratmeter großen Zugsegel. Zuletzt erhielt Deutschlands größter Fischtrawler einen Drachen für die Bugspitze. “Innerhalb von neun Jahren haben wir das Projekt vom Reißbrett bis zur Praxistauglichkeit begleitet”, sagt André Tonn. “Die Entwicklung dieser Segel ist vergleichbar mit der Erfindung der Dampfmaschine für die Schifffahrt.”

Dabei erscheint das Prinzip simpel: Bläst der Wind stark genug, kann ein Kapitän per Knopfdruck das Segel vom Bug seines Schiffs an einer langen Leine steigen lassen – auf bis zu 400 Meter über dem Meeresspiegel, weil dort der Wind kräftiger bläst. Ein Mini-Rechner sorgt dafür, dass das Segel nicht starr in der Luft steht, sondern über Steuerschnüre auf die für die Kraftausbeute vorteilhafte Bahn aus liegenden Achten gebracht wird. Unter optimalen Bedingungen soll sich der Kraftstoffbedarf halbieren. Im Durchschnitt würden laut Skysails immerhin 15 Prozent weniger Öl verfeuert. Gut 200 000 Euro Treibstoffkosten ließen sich pro Jahr sparen, nach fünf Jahren mache sich der 1 Million Euro teure High-tech-Drachen bezahlt.

2008 wurde Skysails auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos geadelt, indem es als einziges deutsches Unternehmen in den Kreis der innovativsten Firmen der Welt eingereiht wurde. Inzwischen zählt Skysails mehr Auszeichnungen als verkaufte Drachen. “Wir liegen hinter unserem Plan zwei Jahre zurück”, räumt Tonn ein. Skysails habe schlicht zum falschen Zeitpunkt die Reife erreicht – in der Wirtschaftskrise scheuten Investoren und Reeder die Innovation. Jetzt könnte die Zeit für das Unternehmen spielen. “Durch steigende Treibstoffpreise und scharfe Emissionsauflagen steht die Schifffahrt vor gewaltigen Herausforderungen”, sagt Stefan Wrage, der Gründer. Ab 2020 darf der Schwefelgehalt im Treibstoff nur noch 0,5 Prozent betragen, zuletzt waren es im Durchschnitt fast 3 Prozent. Billiges Schweröl scheidet dann als Kraftstoff aus. “Skysails wird zur Standardausstattung moderner Frachtschiffe”, verspricht Wrage. Spätestens in zwei Jahren will das Unternehmen profitabel sein. Die Entwicklung eines noch zugkräftigeren Drachen mit einer Tuchfläche von 600 Quadratmetern hat schon begonnen.

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