Blitzschlag

F.A.Z. vom 22. September 2012 76 Millionen Passagiere haben 2011 die Billigfluggesellschaft Ryanair genutzt. Berichte über Kerosinmangel und Notlandungen nagen nun am Ruf. Dabei steht der entscheidende Kampf um Marktanteile in Deutschland sogar noch aus.
Dunkle Gewitterwolken türmen sich über Madrid, auf Mallorca ist es trocken. Der Pilot plant seinen vierten Flug an diesem Donnerstag im Juli. In Madrid ist er an Bord gegangen, war im belgischen Charleroi, wieder in Madrid, steht nun auf Mallorca, es soll zurück nach Madrid gehen. Alltag für einen Ryanair-Kapitän. Er lässt die Tanks auf 6500 Kilogramm Kerosin füllen, das soll genug sein für den Flug in die spanische Hauptstadt – und auch für ein mögliches Ausweichen nach Valencia. 5887 Kilogramm dürften unter normalen Umständen reichen, aber es türmen sich ja dunkle Wolken. Dass es am Ende verdammt knapp wird für Flug FR 2054, ahnt er wohl noch nicht.

Nach dem Start fliegt die Boeing 737-800 geradezu auf Madrid. Das Wetter wird schlechter. Der Kapitän nimmt seinem ersten Offizier die Steuerung ab. Windwarnung. Der Pilot kehrt um. Ein Blitz trifft das Flugzeug, Warnmeldung im Cockpit. Das Kerosin ist zu fast 60 Prozent aufgebraucht, als das Flugzeug Kurs auf Valencia nimmt. So steht es im Bericht der irischen Luftfahrtaufsicht IAA, die die Crew von Ryanair-Flug FR 2054 befragte, warum sie am 26. Juli letztlich wegen Treibstoffmangels Alarm schlagen musste.

Die Piloten sagten den Ermittlern, dass beim ersten Funkkontakt mit Valencia „der Fluglotse überlastet schien und auf mehrere Anfragen nicht antwortete“. In der Öffentlichkeit herrscht hinterher der Eindruck, Ryanair tanke immer besonders sparsam. Der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, Jörg Handwerg, berichtet von „psychologischem Druck“ auf Piloten des Billigfliegers, nicht zu viel Treibstoff mitzunehmen. Denn jedes Kilogramm mehr an Bord erhöht auch den Verbrauch. Bei Ryanair sei es „Praxis, Listen auszuhängen, auf denen Piloten in der Reihenfolge ihres Treibstoffverbrauchs aufgelistet werden“.

Als Flug FR 2054 am Abend des 26. Juli in die Warteschleife geschickt wird, funkt der Kapitän „Mayday“. Nach der Landung hat er noch 1029 Kilogramm Kerosin an Bord, die Mindestreserve für 30 weitere Flugminuten hätte 1104 Kilogramm betragen. Die irischen Ermittler kommen aber zu dem Schluss, dass zum Start ausreichend Treibstoff im Tank war – kein Fehlverhalten von Ryanair. Dennoch ist FR 2054 vom 26. Juli einer von drei Flügen, die Europas größte Billigfluggesellschaft und ihren exzentrischen Vorstandsvorsitzenden Michael O’Leary aus der Rolle des Angreifers in Verteidigungsposition gebracht haben.

Dass in einem Flugzeug der Kraftstoff knapp wird, ist selten. Dass es gleich drei Flugzeuge einer Gesellschaft an einem Tag trifft, ist mehr als außergewöhnlich. Drei außerplanmäßige Landungen an einem August-Wochenende – wegen Wetterkapriolen, „möglichen Triebwerksproblemen“ und „leichten technischen Problemen“, wie Ryanair mitteilt – fördern den Eindruck, dass der Billigflieger doch eher eine Pannen-Fluggesellschaft ist.
O’Leary stand nicht mehr als Sparfuchs da, als Mister Europa, der für Bürger auf dem ganzen Kontinent Flugreisen erschwinglich gemacht hat. Er ist nun Mister Knauserig, der möglicherweise auch am Kerosin und an der Wartung spart.

18 Jahre ging es für Ryanair unter O’Learys Führung aufwärts, 2011 beförderte die Gesellschaft 76,4 Millionen Passagiere – gut 11 Millionen mehr als die Lufthansa in den Flugzeugen ihrer Hauptmarke und 45-mal so viele wie Ryanair zu O’Learys Amtsantritt. Erfolg schafft Neider. O’Leary – 51 Jahre, Vater von vier Kindern, Hobby-Pferdezüchter und gelernter Wirtschaftsprüfer – hat nicht nur die Luftfahrtmanager Europas gezwungen, Ticketpreiskalkulationen zu überdenken, er hat auch Wettbewerber aus dem Markt geblasen. In Spanien knickte Anfang 2012 Spanair ein. Der Ruf war nach einem Unglück mit 154 Toten im Jahr 2008 ohnehin ramponiert. Dem aggressiven Vorpreschen der Iren und ihres britischen Verfolgers Easyjet stand man fast wehrlos gegenüber. „Ryanair und Easyjet sind eine Plage für ihre spanischen Wettbewerber“, sagt Luftfahrtberater Gerd Pontius. Zusammen decken die Billigflieger mehr als die Hälfte des spanischen Markts ab. Heimische Gesellschaften wie Iberia oder Vueling halten sie auf Abstand.

Dieses Ringen um Marktanteile hat O’Leary für sich entschieden. Doch nun geht es für ihn um mehr – der Kampf um Vertrauen in sein Unternehmen ist weitaus härter. Dass er billig kann, hat O’Leary bewiesen. Aber Niedrigpreise machen Ängste nicht wett. Die Vorwürfe aus Spanien trafen ins Mark seines Geschäftsmodells. Er witterte eine „Kampagne“, Iberia und Vueling hätten nicht weniger außerplanmäßige Landungen und gälten auch nicht als unsicher. Doch davon schrieben spanische Zeitungen – auch unter Berufung auf die Luftfahrtaufsicht des Landes – zunächst nicht. O’Leary schickte böse Briefe ins Verkehrsministerium in Madrid, die er öffentlich machte. O’Leary schrieb von „gefälschten“ Berichten der spanischen Luftfahrtaufsicht AESA.

Dass Ryanair aggressiv Marktanteile erobert hat, genügt schon, dass Vertreter der Gesellschaft mancherorts nicht gern gesehen sind. Doch O’Leary hat regelmäßig noch einen obendrauf gesetzt und mit spitzen Bemerkungen Wettbewerber gepiesackt. Der Air-Berlin-Börsengang 2006 war aus seiner Sicht der „größte Straßenraub seit Jahren“, Werbung der Lufthansa bezeichnete er als „bescheuert“. Angesprochen fühlen durfte sich der deutsche Marktführer auch, als O’Leary Business-Class-Angebote auf Europaflügen als „Triumph von Marketing über den gesunden Menschenverstand“ titulierte. Hochwertigen Service hat Ryanair folglich nicht im Programm. O’Leary versteht sich als Erzieher für Flugreisende.

Koffer aufgeben, während des Fluges auf Toilette gehen, Bedienung am Terminalschalter – all das will er seinen Kunden abgewöhnen, weil es ihm zu teuer erscheint. Er ist überzeugt, dass er seinen Passagieren einiges zumuten kann, schließlich befördert er sie günstig. Dass Ryanair trotz vieler schikanös anmutender Aufschläge für Kreditkartenzahlungen, Koffer und sogar Bordkartenausdrucke, die den Verbraucherschützern die Zornesröte ins Gesicht treiben, einer der günstigsten Anbieter ist, hat ihm sogar die Stiftung Warentest attestiert.

O’Leary hat vieles aus dem Geschäft verbannt, was den Betrieb teuer macht. Ryanair bietet Direktflüge statt Umsteigeverbindungen – verpasste Anschlüsse würden die Bilianz belasten. Ryanair beschränkt sich auf Europa-Flüge – ein Mischmasch aus Kurz- und Langstrecken wäre zu komplex. Ryanair nutzt nur Flugzeuge vom Typ Boeing 737-800, davon aber gleich mehr als 290 Stück – das macht die Wartung einfacher. Erfunden hat O’Leary dieses Konzept nicht, er kopierte und radikalisierte die Idee von Southwest Airlines in Nordamerika. Dazu kommt eine auffällige Liebe zur Provinz, Ryanair sorgt für Verkehr auf Wald-und-Wiesen-Pisten – und O’Leary taucht dort schon mal im Torerokostüm, bayrischer Lederhose oder Till-Eulenspiegel-Dress auf. Die Volkstümelei ist bloß Werbung, die Asphaltpisten hinter dem Dorfrand sind die einzigen Orte, die Ryanair günstig starten und landen lassen – so günstig, dass die EU-Kommission schon mehrfach versteckte Beihilfen staatlicher Flugplatzbetreiber für den Billigflieger witterte.

Seit Jahren kokettiert O’Leary damit, er werde sich bald zurückziehen – nur derzeit glaubt ihm das kaum jemand, auch wenn es in der Branche als ausgemacht gilt, dass er sein Geschäftsmodell nicht unbegrenzt vorantreiben kann. „Solange Ryanair noch wachsen kann, gibt es keinen Grund, etwas an der Strategie zu verändern. Es ist aber absehbar, dass dieses Wachstumsmodell endlich ist“, sagt Fachmann Pontius. So hat Rivale Easyjet mehr Großstädte im Flugplan, gewinnt deshalb mehr Geschäftsreisende für sich, die die lange Fahrt über Landstraßen zur Provinzpiste schon aus Zeitgründen scheuen. Auch Ryanair orientiert sich vorsichtig um, in Deutschland hat man schon Berlin, Leipzig und Köln ins Programm genommen.

Und das dürfte erst der Vorgeschmack sein auf das, was die Billigflieger hierzulande für die Zukunft planen. „In Zentraleuropa steht die Neuverteilung der Marktanteile noch an. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Ryanair und Easyjet aggressiv in den deutschen Mark drängen“, prognostiziert Pontius. Denn noch steht die Bekanntheit von Ryanair im Kontrast zum Marktanteil. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sieht die Iren in seiner Billigflugstudie auf Rang drei. Air Berlin und der Lufthansa-Ableger Germanwings machten hingegen zwei Drittel der Low-Cost-Verkehre aus, auf die irische Gesellschaft entfiel nur jeder zehnte Billigflug. Und zuletzt hatten Ryanair und Easyet noch Verbindungen hierzulande gestrichen. O’Leary begründete das mit der Last der Luftverkehrssteuer.

Ebenso plausibel erscheint, dass die Low-Cost-Carrier nur vorübergehend andere Prioritäten setzten, weil sich Wachstumschancen ergaben. „Ryanair und auch Easyjet haben sich zuletzt auf Südeuropa konzentriert“, sagt Pontius. „In Italien gelang das Wachstum auch relativ geräuschlos, weil dort die Gesellschaft Alitalia keine Gegenwehr geleistet hat.“ In Deutschland muss er mit mehr Widerstand rechnen. Als O’Leary am 22. April 1999 erstmals einen Linienflug in der Bundesrepublik schickte, wurde er von Alteingesessenen belächelt. Längst nimmt ihn die Lufthansa als ernsten Gegner wahr. Dass die größte deutsche Gesellschaft – noch unter dem Arbeitstitel „Direct 4U“ – für 2013 einen Billigflieger auf die Startbahn bringt, liegt nicht nur an den Verlusten, die auf Europa-Verbindungen anfallen. Es ist auch die Reaktion auf die befürchtete Expansion von Ryanair & Co., die man auf keinen Fall verschlafen will. Eine Entwicklung wie in Spanien soll sich in Deutschland nicht wiederholen.

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