Einmal Fotomodell in der Karibik und zurück

F.A.Z. vom 17. Januar 2015. Urlauber haben keine Lust auf Standardferien. Pfiffige Hotels, exotische Kochkurse oder Erlebnisreisen mit dem Helikopter sind stattdessen begehrt. Dem Deutschlandchef der TUI schwant schon das Ende des Massenurlaubs.

Bevor es um Sonne, Strand und Palmen geht, wählt Christian Clemens Sturm und Regen. 30 Minuten lang radelt der Deutschland-Chef der TUI gegen den kalten Januarwind an, der durch Hamburg pfeift. Er hätte auch das Auto, den Bus oder ein Taxi nehmen können. Doch Radfahren macht dem obersten Reiseleiter für Urlauber aus der Bundesrepublik richtig Spaß. Nebenbei passt der ganz individuell geplante Weg gut zu der Botschaft, wie er sich die Zukunft des Urlaubs vorstellt. Das Fahrrad gehört nicht zwingend dazu, wohl aber die Möglichkeit, jede Reiseetappe nach eigenen Wünschen zu gestalten.

„Massenurlaub war gestern“, sagt Clemens. Es klingt, als wirbele der Winterwind durch die Reiseindustrie, die dringend neue Konzepte braucht. Denn auch der TUI-Konzern verdient sein Geld damit, Massen in lukrative Ferienziele zu locken. 2014 entschieden sich in Deutschland 7,4 Millionen Menschen für den Marktführer. Clemens will mehr für den Konzern, dessen Marktanteil auf knapp 17 Prozent geschrumpft ist. Dafür macht er die Kunden zu „Urlaubsdesignern“.

Individueller, außergewöhnlicher, unvergesslicher – das wünsche sich der Urlauber. Bislang hat sich die Urlaubsbranche laut Clemens zu wenig darum gekümmert: „Die meisten Reiseveranstalter haben es sich einfach gemacht: Sie vermitteln Hotels, die anderen gehören, und vermitteln Flüge, die andere durchführen.“ Doch Hotelzimmer und Sitze in Flugzeugen können Online-Portale genauso gut verkaufen. „Als reiner Vermittler stehen wir immer im direkten Wettbewerb mit Online-Portalen wie Expedia – und wohl auch mit Google“, sagt Clemens.

Zudem fühlten sich Kunden im Dickicht der vielen ähnlichen Angebote wohl auch wie bei der Massenabfertigung. Branchenweit stagnierte zuletzt das Geschäft mit Flügen und Hotelaufenthalten, die in Pauschalreise-Paketen gebündelt werden. Nach vorläufigen Zahlen der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen brachen Urlauber aus Deutschland 2014 zu 72 Millionen Urlaubsreisen mit mehr als fünf Tagen auf – 2 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Zahl der Urlauber, die auf Angebote von Reisekonzernen zurückgriffen, verharrte jedoch auf Vorjahresniveau. „Mehr als 55 Prozent der Deutschen organisieren ihren Urlaub selbst und greifen nicht auf Veranstalterprodukte zurück“, diagnostiziert Clemens. Das Positive daran: In der alternden Gesellschaft gibt es noch Millionen Menschen, die er zu Kunden machen könnte.

Reisekonzerne suchen allerorten nach Wegen in eine ertragreichere Zukunft. So hat sich der Schweizer Konkurrent Kuoni gerade entschieden, komplett auf das Endkundengeschäft zu verzichten. Der Anbieter aus Zürich will sich nur noch als Dienstleister statt als Veranstalter in der Urlaubswelt bewegen. Das erscheint den Schweizern lukrativer. TUI will von einem solchen Schwenk nichts wissen. Weil sich Kunden aber nicht mehr massenweise durch sterile Büfett-Räume und bekannte Ausgrabungsstätten schleusen lassen wollen, bekommen sie mehr Wahlfreiheit.

Ausflüge nur mit der Familie statt in der Großgruppe – was TUI 2014 in der Türkei testete, ist 2015 an 13 Reisezielen von Teneriffa bis Bali möglich. Zur Erholung am Strand gibt es private Kochkurse, Helikopterflüge oder Rundfahrten am Steuer eines Ferrari durch Dubai dazu. Sogar ein Auftritt vor der Kamera eines Profifotografen am Karibikstrand lässt sich buchen. Der kostet aber 270 Euro extra. Je mehr der Urlauber bezahlt, desto weniger soll er spüren, Kunde eines Großkonzerns zu sein. „Wer bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen, bekommt bei uns Reisen aus der Manufaktur“, sagt Clemens.

Seine Vision ist das „360-Grad-Erlebnis“. Der Kunde fliegt mit der konzerneigenen Gesellschaft TUI Fly, er residiert im vom Konzern ersonnenen Konzepthotel, lässt sich von TUI-Fachleuten zu außergewöhnlichen Ausflügen inspirieren – für Fragen und Informationen nutzt er die TUI-App, die schon 250 000 Deutsche auf ihr Smartphone geladen haben. „Wenn wir auf allen Stufen des Reisegeschäfts eigene Produkte und Services anbieten und diese gut aufeinander abstimmen, dann zahlt sich das sowohl für den Kunden als auch für uns aus“, glaubt Clemens.

Auf die Zahlungsbereitschaft der Deutschen war bislang Verlass. Sie buchen zwar kaum mehr Haupturlaubsreisen, lassen sich ihre Ferien aber immer mehr kosten. Während TUI Marktanteile einbüßte, stieg die Umsatzrendite auf einen Spitzenwert von 3 Prozent. Nie zuvor hat der Konzern an der einzelnen Reise mehr verdient. „Wir haben bewusst in Kauf genommen, Umsätze in Bereichen zu verlieren, in denen andere Reiseveranstalter nahezu identische Angebote haben“, sagt Clemens. Bevor er bis Jahresende die TUI-Deutschland-Zentrale wieder verlässt und in seine Heimat Schweden zurückkehrt, sollen die Kundenzahlen wieder steigen. „Für 2015 gehen wir von einem leichten Wachstum im Pauschalreisemarkt aus. TUI wird davon einen größeren Anteil bekommen. Unser Marktanteil wird steigen“, zeigt sich Clemens sicher. Seit einigen Wochen ziehe das Geschäft spürbar an. Am langfristigen Ziel, 25 Prozent Marktanteil zu erreichen, muss sein noch nicht bestimmter Nachfolger arbeiten.

Das gilt auch für den Ausbau sogenannter Konzepthotels speziell für Paare ohne Kinder, für Naturverbundene oder für Partyhungrige. In der diesjährigen Sommersaison hat TUI 106 der Herbergen mit Namen wie Sensimar, Puravida oder Viverde im Programm – 23 davon sind neu. „Ziel ist es, pro Marke mindestens bis zu 40 Häuser zu haben“, sagt Clemens – aktuell sind es nur zwischen sechs und 33 je Konzeptlinie. Die Universalherberge für alle Urlaubertypen wird damit immer mehr zum Auslaufmodell. „Wir bleiben ein Pauschalreiseanbieter, aber wir differenzieren unsere Produkte analog der Kundenwünsche viel stärker als früher.“ 70 Prozent aller Buchungen der Marke TUI sollen solche Angebote sein.

Dass Kunden mit spezielleren Wünschen und mehr Vorwissen ihren Urlaub planen, beobachtet Clemens auch in den Reisebüros. „Neun von zehn Urlaubern suchen schon online, bevor sie in ein Reisebüro gehen.“ Internet und Verkaufsbüros seien daher keine Konkurrenten, sondern ergänzten sich. „Ich glaube an die Zukunft der Reisebüros“, versichert er. TUI investiert an der Verkaufsfront – nach der Eröffnung eines Markenshops in Stuttgart sollen alle konzerneigenen Reisebüros umgebaut werden. Berührungsempfindliche Bildschirme und Kaffeetheken verdrängen dann das klassische Katalogregal. „Der Reisebüroinhaber, der darauf wartet, dass der Kunde durch die Tür kommt, wird irgendwann allein sein“, ist Clemens überzeugt. 2015 ist für ihn das Jahr der großen Vernetzung. „Online buchen, offline ändern oder umgekehrt – das wird jetzt möglich.“ Im Jahresverlauf wird für die eigenen Vertriebswege neue Technik eingeführt. Ob im konzerneigenen Reisebüro oder per Internet – der Urlaub lässt sich dann stufenweise zusammenstellen und der passende Mietwagen oder Ausflug später hinzufügen. Nicht nur der Urlaub, sondern auch die Buchung soll individueller werden. Und weil Urlauber immer irgendwie auf Touren sind, funktioniert das auch mit dem Smartphone, sogar bei einem Zwischenstopp mit dem Fahrrad im stürmischen Hamburg.

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