Der alte Mann und das Schiff

F.A.Z. vom 4. Oktober 2013. Die „Europa“-Schiffe sind das Non-Plus-Ultra für Kreuzfahrer. Der TUI bescheren die Luxusdampfer aber Verlust. Daher wittern Kaufinteressenten Morgenluft. Darunter auch ein reicher Deutscher aus der Schweiz.

In 80 Tagen um die Welt? Warum so schnell, wenn es auch geruhsamer geht. Zum Beispiel mit der „MS Europa“. Auf diesem Kreuzfahrtschiff der höchsten Luxusklasse – „fünf Sterne plus“ – können Weltenbummler in 137 Tagen um den Globus tuckern. Ende November geht es in Madeira los. Die Route führt über die Karibik in die Südsee, weiter nach Neuseeland, Australien und Singapur. In Dubai endet Mitte April diese Reise, für die man neben Zeit auch Geld benötigt: Die gemeine Suite – darunter gibt es nichts – kostet 56 000 Euro, für die 45 Quadratmeter große „Penthouse Deluxe Suite“ sind 131 000 Euro fällig – pro Person.

Aber wer sich eine lange Reise auf der „Europa“ leisten kann, hat meist schon alles: Wohnungen, Häuser, Unternehmen und mehr. So wie Otto Mihm. Der in der Schweiz lebende Deutsche ist vermögend. Und er liebt die Kreuzfahrt. Den vergangenen Winter hat er komplett auf der „Europa“ verbracht, wobei er seine großräumige Luxus-Suite kaum verlassen haben soll – weder für die Gala-Dinner noch für die Landausflüge.

Mihm ist 82 Jahre alt und inzwischen Privatier. Aber die Neugier auf neue Geschäfte treibt ihn noch immer um. Nach Informationen dieser Zeitung ist er an einer Übernahme von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten interessiert. Das ist die Reederei der „Europa“. Sie gehört zum Reisekonzern TUI und hat nichts mehr mit der Hamburger Containerreederei Hapag-Lloyd AG zu tun.

Mihm ist in der Öffentlichkeit vollkommen unbekannt. Sein Vermögen scheint er als Unternehmer gemacht zu haben. Aus alten Artikeln in Schweizer Zeitungen geht hervor, dass er einst das Unternehmen Extramet gegründet hat. Das ist ein Spezialproduzent von Hartmetallen mit Sitz im schweizerischen Plaffeien, der inzwischen Hans-Jörg Mihm gehört. Er ist einer der drei Söhne von Otto Mihm und Geschäftsführer von Extramet.

Über seinen Vater will sich Hans-Jörg Mihm auf Anfrage nicht groß äußern: „Mein Vater ist unterwegs und nur schwer zu erreichen.“ Im Hinblick auf das Kaufinteresse für Hapag-Lloyd Kreuzfahrten lässt er sich ebenfalls kein Wort entlocken. Sein Vater sei „in verschiedenen Sachen“ investiert und verfolge seine eigenen Interessen. Auch bei der Reederei und deren Mutterhaus TUI heißt es in Sachen Otto Mihm: „Kein Kommentar.“

Das verwundert nicht, der alte Herr ist sehr auf Diskretion bedacht. So ist es ihm auch gelungen, seine bestehende Geschäftsverbindung zu Hapag-Lloyd Kreuzfahrten unter der Decke zu halten. Mihm ist Eigentümer der „MS Europa 2“, die die Reederei im Mai in Betrieb genommen hat. Das zweite Luxusschiff soll rund 300 Millionen Euro gekostet haben. Für Mihm dürfte sich das Ganze rechnen. Er hat einen Chartervertrag ausgehandelt, der ihm langfristig sehr hohe Mieteinnahmen garantiert, gleichgültig wie gut oder schlecht das Schiff ausgelastet ist. Kreisen zufolge dürfte die jährliche Charterrate annähernd 30 Millionen Euro betragen. Für die Reederei ist der Vertrag ein Debakel. Ihr gelang es nicht, so viele zahlungskräftige Kunden zu gewinnen, um aus dem Stand parallel zwei Luxusdampfer gut zu füllen.

Berauschend waren die Ergebnisse der alten „Europa“, die an Bord einen enormen Aufwand betreibt, noch nie. Nun hat das Schiff Kunden an seine neue Schwester verloren. Diese hausgemachte Kannibalisierung kommt Hapag-Lloyd teuer zu stehen. Auch der Chartervertrag für ein weiteres Schiff, die „Columbus 2“, entpuppte sich als Fehlkalkulation. Nach nur zwei Jahren trennt man sich 2014 wieder von dem Schiff.

Die finanzielle Schieflage der beiden „Europa“-Schiffe und der „Columbus 2“ sind hauptverantwortlich für den bereinigten operativen Verlust von fast 18 Millionen Euro, den die Schifffahrtssparte in den ersten Monaten des laufenden Geschäftsjahres ausgewiesen hat – ein Tiefpunkt mitten in der Wachstumsphase des deutschen Kreuzfahrtenmarktes. TUI musste für das Kreuzfahrtsegment in Summe 49 Millionen Euro zurückstellen – für „drohende Verluste aus ungünstigen Verträgen“, wie es im jüngsten Quartalsbericht heißt.

Als Hauptschuldigen für die „ungünstigen Verträge“ hat man bei der TUI Sebastian Ahrens ausgemacht. Ahrens war viele Jahre Vorsitzender der Geschäftsführung von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, zudem führte der frühere McKinsey-Mann über Jahre den Kreuzfahrtausschuss des Deutschen Reiseverbands. Er hatte die Charterverträge einst ausverhandelt – im Mai 2012 musste er gehen. Manch einer deutet mit dem Finger auch auf den früheren TUI-Vorstand unter Führung von Michael Frenzel, der dem Treiben viel zu lang zugeschaut habe.

Zwar standen sich Frenzel und Ahrens nicht besonders nahe – im Gegenteil, dem Konzernlenker in Hannover war es ein Ärgernis, dass Ahrens in Hamburg um große Freiräume bemüht war. Dennoch bekam Ahrens die Zustimmung für die Expansion. Frenzel galt eben auch als Anhänger des Geschäftsmodells Kreuzfahrten. Ein Verkauf schien unter ihm nahezu ausgeschlossen. Deshalb gab es für Mihm, dem schon in der Vergangenheit ein Interesse an der Reederei nachgesagt wurde, keine Chance für eine Übernahme.

Das könnte sich nun ändern. Frenzel ist nicht mehr im Amt. Sein Nachfolger Friedrich Joussen muss die Scherben bei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten zusammenkehren. Er hat mit Karl Pojer einen neuen Geschäftsführer benannt, der die Reederei umbauen und im Geschäftsjahr 2014/15 über die Gewinnschwelle führen soll. Aber Joussen ist auch für andere Optionen offen. Er hält Hapag-Lloyd Kreuzfahrten zwar für eine starke Marke. Doch wenn sie kein Geld einbringt, ist für ihn eine Trennung denkbar.

Dem Vernehmen nach hat Mihm sein Kaufinteresse gegenüber TUI klar artikuliert. Und im Schlepptau hat er ausgerechnet den in der TUI-Zentrale in Hannover so ungeliebten Ahrens als Berater dabei. Ahrens sehnt sich angeblich danach, wieder die Kapitänsbinde anlegen zu dürfen und nach einer erfolgreichen Übernahme abermals die Führung der Reederei zu übernehmen.

Für das Kaufinteresse Mihms dürften emotionale Gründe eine Rolle spielen. Er liebt die „Europa“-Schiffe mehr als alle anderen Luxusdampfer der Welt. Auf der „Europa 2“ soll er sogar eine eigene Suite besitzen. Aber macht ihn das zu einem guten Eigentümer? Vom eigentlichen Kreuzfahrtgeschäft dürfte er keine Ahnung haben. Außerdem hat er bisher offenbar keine belastbare Finanzierung vorgelegt. Deshalb hat man bei der TUI bisher sehr zurückhaltend auf Mihms Vorstoß reagiert.

TUI ist sich im Moment nicht im Klaren darüber, ob die Reederei überhaupt verkauft werden soll. Intern formiert sich schon Widerstand: Vertriebsfachleute befürchten, dass weniger Kreuzfahrten verkauft werden, sollte die Traditionsreederei nicht mehr zum Konzern gehören. Besorgt sind auch diejenigen, die nach dem Abschied Frenzels auf ein Erstarken der TUI AG gehofft hatten. Ein Abschied von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten würde bedeuten, dass der TUI AG noch weniger Endkundengeschäft bliebe. Und bei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten selbst scheint man mit dem neuen Geschäftsführer Pojer sehr zufrieden, zumal sich die Buchungszahlen wieder bessern.

Sollte Joussen die Reederei zum Verkauf stellen, könnte Mihm nicht der einzige Interessent sein. In Branchenkreisen wird auch Regent Seven Seas aus der Prestige-Cruise-Holding mit ihrer Marke Oceania als Aspirant gehandelt, der die noch von Hapag-Lloyd gecharterte „Columbus 2“ gehört. Allerdings scheint das Interesse der Amerikaner nach ersten Kontakten wieder abgenommen zu haben. Doch auch die Luxusreederei Silversea aus Monaco gilt als Kandidat.

Eine andere Option wäre, dass sich der amerikanische Royal-Caribbean-Konzern mit seiner Luxusmarke Azamara in Deutschland verstärken könnte. Royal Caribbean ist mit der TUI über die „Mein Schiff“-Flotte von TUI Cruises verbandelt. Verkauf oder Sanierung – die Fahrtrichtung von Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten ist noch offen. Das neue Flaggschiff „Europa 2“ nimmt an diesem Wochenende von Istanbul Kurs auf Skiathos. Für die griechische Insel sind eine Höchsttemperatur von 19 Grad und vereinzelt Regenschauer vorausgesagt.

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