Touristiker und Finanzbehörden liefern sich Streit um Hotelzimmer

F.A.Z. vom 18. November 2013 Die Deutschen geben so viel Geld wie nie zuvor für ihren Urlaub aus. Trotzdem bangt die Branche vor einer Insolvenzwelle.

Mehr als nur Schrecksekunden erlebten Tausende Urlauber im Sommer, als ihre Reiseveranstalter Insolvenz anmeldeten. Wer schon am Urlaubsort war, musste sich mit Hoteliers auseinandersetzen, bei denen von den Zahlungen der Urlauber nichts angekommen war. Wer noch in Deutschland saß, musste zuweilen den ersehnten Urlaub aufgeben – immerhin erstatten Insolvenzversicherer später den Reisepreis. Mit dem Zusammenbruch von GTI Travel, der Nummer acht auf dem deutschen Urlaubsmarkt, sowie den kleineren Anbietern Glauch-Reisen und Fefa-Reisen erlebte die Branche eine lange unbekannte Insolvenzwelle. Nun befürchtet der Deutsche Reiseverband (DRV), dass es in Zukunft noch schlimmer kommen könnte.

Dabei kann die Branche insgesamt nicht über schlechte Geschäfte klagen. Nach vorläufigen Zahlen des DRV gaben Urlauber aus der Bundesrepublik in den vergangenen zwölf Monaten 25,2 Milliarden Euro für die 40 Millionen Reisen aus, die sie bei Urlaubsveranstaltern gebucht hatten, etwa 3,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Trotzdem warnte Jürgen Büchy, der DRV-Präsident, auf der Jahrestagung der Branche in Salzburg vor einer „Pleitewelle“. Nicht unternehmerische Fehler und knappe Kalkulationen wären dafür nach seiner Ansicht verantwortlich, sondern die deutschen Finanzbehörden.

Stein des Anstoßes sind die Folgen der jüngsten Gewerbesteuerreform, die bei ersten Touristikern schon zu hohen Nachforderungen geführt haben. Der Vorstandsvorsitzende der TUI AG, Friedrich Joussen, sieht die Branche schlimmstenfalls mit Jahr für Jahr um rund 200 Millionen Euro höheren Lasten konfrontiert. Am Beginn stünde eine Nachzahlung für die vergangenen Jahre, die sich branchenweit auf 1,4 Milliarden Euro summieren könnte. Rückstellungen hat kein Touristiker dafür gebildet.

Die Vorgeschichte der aktuellen Debatte beginnt 2008 mit dem Inkrafttreten des geänderten Gewerbesteuerrechts. Seitdem müssen für die Bemessung der Steuer zum Unternehmensgewinn Teile der Miet- und Pachtausgaben addiert werden. Die Begründung dafür: Wer mietet, spart Investitionen und erzielt einen höheren Gewinn als der Unternehmer, der sich eine Zentrale selbst baut. Gegen diese Argumentation hat auch die Reisebranche nichts einzuwenden.

2011 folgte aber eine überraschende Wende: Ein Betriebsprüfer stufte beim Blick in die Bilanz des Anbieters Frosch Sportreisen aus Münster eingekaufte Hotelkontingente ähnlich wie gemietete Büroräume ein – aus Sicht von DRV-Präsident Büchy eine „absurde Vorstellung“. Hotelzimmer in aller Welt würden so steuerlich zur Betriebsstätte wie eine in Deutschland gepachtete Fabrikhalle. Aus Sicht der Reisebranche sind die Schlafzimmer in Ferienclubs aber keine Produktionsräume, sondern ein Teil der verkauften Produkte, zu denen nicht nur die Raumnutzung, sondern auch Reinigung, Handtuchwechsel, Verpflegung und Unterhaltung im Hotel zählen.

Während in Münster auf den Steuerbescheid Einspruch und Klage folgten, hofften Branchenfunktionäre mit Unterstützung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) drei Jahre lang auf ein Einsehen im Bundesfinanzministerium sowie in den Finanzbehörden der Länder – vergeblich. Weitere Reiseveranstalter bekamen Besuch von Betriebsprüfern, die sich besonders für Hotelzimmer interessierten. Die Branche befürchtet nun eine Welle teurer Steuerbescheide.

Liefern sich die großen Reiseveranstalter in anderen Fragen zum Teil heftige Auseinandersetzungen, halten sie bei diesem Thema zusammen. „Steuern zu zahlen ist richtig und wichtig. Aber man kann für die Bemessung der Steuer nicht Dinge heranziehen, die in einem Reiseunternehmen so nicht vorhanden sind“, sagt etwa Gerald Kassner, der Inhaber des Unternehmens Schauinsland-Reisen, mit Blick auf die ähnliche Behandlung von Betriebsgebäuden und Hotelkontingenten.

Willi Verhuven, der Chef des Konkurrenten Alltours, warnt im Branchenmagazin „FVW“ vor weiteren eigentümlichen Folgen. „Die Einführung dieser Besteuerung hätte zur Folge, dass selbst Unternehmen mit einem operativen Verlust mit hoher Gewerbesteuer belastet werden könnten.“ Und der Deutschland-Chef der TUI, Christian Clemens, drohte schon damit, den Hoteleinkauf ins Ausland zu verlagern – ins österreichische oder dänische Grenzgebiet zum Beispiel.

Gleich wie der Streit um die Gewerbesteuer ausgeht, die Platzhirsche der Reisebranche sind keinesfalls in ihrem Bestand gefährdet, müssten aber mit niedrigeren Gewinnen arbeiten. Härter träfe es kleinere Anbieter. „Die Existenz gerade von mittelständischen Reiseveranstaltern und damit Zehntausender Arbeitsplätze steht auf dem Spiel“, warnt Verbandschef Büchy deshalb. Er schätzt, dass die zusätzliche Belastung 1 bis 1,5 Prozent des Umsatzes betrage. Nicht wenige Anbieter schaffen allerdings nur 1,5 Prozent Rendite. Sie würden dann überhaupt nichts mehr verdienen. Er sei überzeugt, dass die Hinzurechnungspraxis vor Gericht keinen Bestand haben werde, sagt Büchy. Doch bis zum Richterspruch könnte es für Einzelne in der Branche schon zu spät sein.

 

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