Mehr Steuern als Gewinn – die Touristik rebelliert

F.A.Z. vom 25. Juli 2014 Urlaubskonzerne streiten mit Finanzämtern über Millionen und eine sonderbare Steuerbestimmung. Ein Finanzminister zeigt Bereitschaft, die Regeln nachzubessern.

Wenn den Urlaubsveranstalter Willi Verhuven derzeit etwas quält, dann sind es nicht die Buchungszahlen. Diesmal dreht sich alles um die Gewerbesteuer. „Das quält mich schon“, sagt Verhuven, Gründer und Eigentümer des Reiseveranstalters Alltours. In den Beginn der Ferienzeit, in der jeder Touristiker gern über die Vorzüge von Fuerteventura, Antalya oder Kroatien spricht, platzten bei Alltours die Folgen der Gewerbesteuerreform 2008. Das Unternehmen soll nach einer Betriebsprüfung des Finanzamts Steuern für mehrere Jahre nachzahlen – Branchenkreisen zufolge einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Für ein Jahr übersteigt die Steuerlast sogar den Gewinn. Die Serie von mehr als drei profitablen Jahrzehnten, auf die Verhuven besonders stolz ist, wäre durchbrochen – rückwirkend.

Mit seinem Ärger ist der Alltours-Chef nicht allein. Nahezu allen Reiseveranstaltern drohen Nachforderungen des Fiskus – nach Schätzungen insgesamt 200 Millionen Euro pro Jahr. Für die Zeit von 2008 an wären das 1,4 Milliarden Euro. „Für einen der großen Reiseveranstalter ergibt sich beispielsweise eine Steuerquote von fast 90 Prozent“, rechnet Norbert Fiebig, der Präsident des Deutschen Reise-Verbands (DRV), im Gespräch mit dieser Zeitung vor. Und das sei bloß der Mittelwert. „In schwächeren Jahren steigt die Steuerquote auf mehr als 100 Prozent“ – mehr Steuern als Gewinn also. „Auf einen Konzern kämen Nachzahlungen von mehr als 100 Millionen Euro zu, bei kleineren Unternehmen käme es schlimmstenfalls zur Überschuldung“, lautet das Schreckensszenario Fiebigs. „Wenn sich an der aktuellen Praxis nichts ändert, können viele Veranstalter unter ihren heutigen Geschäftsbedingungen nicht weiterarbeiten“, sagt er. Im Land der Reiseweltmeister bangen die Urlaubsveranstalter.

In dem Steuerstreit geht es um die sogenannten Hinzurechnungen zur Bemessung der Gewerbesteuer. Und es geht um einen – aus Sicht der Touristiker – fatalen Fehler in der Auslegung eines Erlasses der Finanzminister der Länder. Seit 2008 müssen Unternehmen für die Bemessung der Gewerbesteuer zu ihrem Gewinn Teile ihrer Miet- und Pachtzahlungen hinzurechnen lassen. Begründung: Wer mietet, spart sich Investitionen und kann einen höheren Gewinn erzielen als der Unternehmer, der etwa seine Zentrale selbst baut. Dagegen allein gibt es keine Einwände.

Für Unfrieden in der Urlaubswelt sorgt ein anderer Aspekt. Betriebsprüfer der Finanzämter sind – gestützt auf einen Ländererlass – dazu übergegangen, Zimmerkontingente, die Reiseveranstalter bei Hotels buchen, steuerlich wie eine gemietete Werkshalle einzustufen. Für eine Branche, die jährlich Millionen Übernachtungen vermittelt, ist dadurch ein riesiger Kostenklumpen entstanden. Zuerst traf es den kleineren Anbieter Frosch-Sportreisen, dessen Fall schon vor dem Finanzgericht Münster verhandelt wird. Mit dem Steuerbescheid an Alltours hat der Steuerstreit einen Großen der Branche erreicht.

Verhuven hat Widerspruch eingelegt. 78 Seiten umfasst sein Zeugnis des Protests und des Unverständnisses. Auch zum Klagen ist er bereit – notfalls bis zum Bundesfinanzhof. Denn Hotelzimmerkontingente sind aus Sicht der Branche eben keine gemieteten Betriebsstätten, sondern Teile ihrer Produkte, der Urlaubsreisen. Ein Schuhhändler müsse schließlich auch nicht mehr Steuern zahlen, weil er sich seine Produkte, also Schuhe, ins Regal stelle.
DRV-Präsident Fiebig fürchtet nicht nur eine untragbare Steuerbelastung, sondern auch eine einseitige Benachteiligung der Anbieter von Pauschalreisen. „Wir haben eine Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten der Reiseveranstalter“, sagt er. Sowohl Reiseveranstalter als auch Übernachtungsportale im Internet vermittelten faktisch Hotelzimmer. Die Portale seien aber nicht von dem Gewerbesteuerstreit betroffen. „Das Geschäftsmodell Pauschalreise, das den mit Abstand höchsten Verbraucherschutz gewährleistet, wäre hierdurch massiv bedroht.“

Viel Kritik, die nach langem Ringen offenbar verfängt. Vorsichtig scheinen sich Finanzpolitiker einer Aussage zu nähern, die in etwa lautet: Man habe das alles gar nicht so gewollt. Eine hohe Besteuerung von Reiseunternehmen, wie sie sich nun zeigt, sei nie ein Ziel gewesen. Das Finanzministerium von Nordrhein-Westfalen, wo Alltours aus Duisburg und Frosch-Sportreisen aus Münster sitzen, verweist zwar formal darauf, dass die Finanzämter an „die bundesweit abgestimmte Verwaltungsauffassung gebunden“ seien. Hotelbelegungsverträge sind demnach als Mietverträge anzusehen und der Hoteleinkauf in die Hinzurechnung zur Gewerbesteuer einzubeziehen.

Doch gleichzeitig heißt es, dass Urlaubsanbieter, die Steuernachforderungen widersprechen, mittlerweile darauf setzen dürfen, dass die Finanzbehörden vorerst das Geld nicht eintreiben und den Vollzug des Steuerbescheids aussetzen. Auf Bundesebene hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zudem bekundet, ihm leuchte die Begründung für die Hinzurechnungen zur Gewerbesteuer für Reiseveranstalter nicht ein. Auch die Unionsfraktion im Bundestag hat sich ähnlich geäußert. „Große Teile der Politik haben die Problematik erkannt, ich rechne noch in diesem Jahr mit einer Korrektur“, sagt DRV-Präsident Fiebig.

Über die Zukunft des umstrittenen Erlasses zum Gewerbesteuerrecht müssen allerdings die Länder entscheiden. Auch dort weicht die Front der Verfechter der Steuerhinzurechnungen auf. Norbert Walter-Borjans (SPD), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und aktuell Vorsitzender der Finanzministerkonferenz der Länder, wagt sich als Erster vor. Man nehme die Befürchtungen der Reisebranche „sehr ernst“, sagt ein Sprecher seines Ministeriums auf Anfrage. Und dazu gehört nun auch, dass eine Korrektur des Gewerbesteuerrechts nicht mehr ausgeschlossen wird. „Deshalb ist die Landesregierung mit betroffenen Reiseveranstaltern in intensiven Gesprächen über das Pro und Contra einer Modifikation des geltenden Rechts“, sagt der Sprecher.

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