Wegbereiter des Massentourismus kämpfen um ihren Ruf

F.A.Z. vom 13. März 2018. Venedig, Florenz und andere Zumutungen: Urlaubermassen werden für die Reisebranche zu einer Belastung.

Wenn Reiseführer nicht mehr Empfehlungen, sondern Warnungen aussprechen, dann ist die Urlaubswelt in Unordnung geraten, Der amerikanische Reisebuchverleger Fodor’s hat eine Liste veröffentlicht mit Orten, die Urlauber in diesem Jahr besser meiden. Darauf stehen nicht Orte des Terrors, sondern Amsterdam, Venedig und die Chinesische Mauer. Orte, an denen der Ansturm der Urlaubermassen sichtbar macht, was die Reisebranche als „Overtourism“ diskutiert.

Auf der gerade zu Ende gegangenen Reisemesse ITB preist sich die Branche Jahr für Jahr, dass sie meistens wieder mehr Urlauber für ihre Produkte und Leistungen begeistert hat. 1,2 Milliarden Auslandsreisen seien 2017 unternommen worden, verkündete die Messegesellschaft – ein Anstieg um 6,5 Prozent. Danach lief es in diesem Jahr auf der ITB anders: Eine Branche diskutierte über die Schattenseiten ihres Gewerbes, über Warteschlangen und Gedränge, über Anfeindungen zwischen Einheimischen und Gästen und über Lösungen, damit der Wachstumspfad der Urlauber nicht in die Sackgasse führt. „Overtourism“ ist kein Phänomen aus der Ferne mehr. In einer Umfrage des Beraters Tourcomm gaben 66 Prozent deutscher Reisezielverantwortlicher an, dass sie in ihrer Arbeit mit dem Thema zu tun hätten. Anwohner nähmen einen Verlust an Lebensqualität wahr, mitunter wird auch mangelnder Respekt der Touristen beklagt, die die Wohnorte anderer bloß als Kulisse für ihre Ferienerlebnisse wahrnähmen.

Norbert Fiebig, der Präsident der Deutschen Reiseverbands (DRV), müht sich derweil, dass seiner Branche nicht der Makel angeheftet wird, dass sie für globale Überfüllung und Stillstand sorge. „Overtourism ist kein allgemeines Phänomen. Das Problem ist häufig lokal und zeitlich stark eingrenzbar“, sagt Fiebig. Kulturmetropolen wie Florenz seien betroffen oder der Hafen von Venedig mit den Kreuzfahrtschiffen. Andernorts wünschten sich Städte, dass mehr Urlauber kämen. „Reisende sind stets auch ein Wirtschaftsmotor für Zielorte. Sie übernachten dort, gehen essen, kaufen ein“, sagt Fiebig.

Doch die Lösungssuche für die Folgen des Erfolgs des Massentourismus ist schwierig. Das gesteht Karl Pojer, Deutschland-Chef des Kreuzfahrtverbands Clia. Er will keine Garantie geben, dass es Reedereien schaffen, ihre Fahrpläne abzustimmen, damit nicht zu viele Gäste an einem Tag an einem Ort an Land gehen. Jeder Anbieter wolle seinen Kunden die beste Fahrtroute anbieten. „Wir haben Arbeitsgruppen gebildet und stehen in ständigem Dialog mit den Zielorten“, sagt er. Die Reedereien sehen sich auch zu Unrecht an den Pranger gestellt. An Spitzentagen landeten mehr als 100 000 Urlauber am Flughafen von Palma auf Mallorca. Die Zahl der Schiffsreisenden, die im Hafen ankomme, betrage nur ein Zehntel dessen. Doch die Schiffe legen halt alle vormittags an, weithin sichtbare Buskolonnen fahren dann in die Stadt.

Als Opfer einer Debatte, die mancherorts genauso wie die Besucherzahlen aus dem Ruder läuft, sieht Carlos Villaro Lassen auch die Anbieter von Ferienwohnungen und Häusern. Der Spanier ist Präsident des Europäischen Ferienhausverbands EHHA. „Der Reisemarkt verändert sich dramatisch. In der Vergangenheit gingen alle davon aus, dass Kurzzeitvermietungen mit Hotelzimmern zu tun haben“, sagt er. Heute vertritt der Verband Eigner und Vermittler von 4 Millionen Ferienhäusern mit 20 Millionen Betten, die für rund eine Milliarde Übernachtungen gebucht werden. Je mehr Gäste kämen, desto lauter würden die Forderungen nach Urlauberobergrenzen oder Beschränkungen, wie viele Tage im Jahr eine Wohnung angeboten werden dürfe, beklagt der EHHA-Präsident. Die spanische Ferienwohnungsorganisation Fevitur rechnet vor, dass 4,5 Prozent der Wohnungen auf Mallorca auch an Urlauber vermietet würde, in Madrid seien es nur 1,2 Prozent.

Bernd Muckenschnabel vom Ferienhausanbieter Novasol warnt Spaniens Politiker gar vor den negativen Folgen allzu scharfer Beschränkungen. „Spanien hat stark von Urlaubskunden profitiert, nun erholen sich Ziele wie die Türkei und Ägypten“, sagt Muckenschnabel. Auch in Berlin sieht er das Risiko, dass ein Kampf gegen Urlauberunterkünfte Gäste vertreibe. „Nachdem Berlin es geschafft hat, mehr Urlauber anzulocken, soll das Geschäft nun durch Beschränkungen eingerissen werden“, poltert er gegen das Zweckentfremdungsverbot in der deutschen Hauptstadt. Marlene Heihsel, FDP-Politikerin im besonders umkämpften Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, stimmt ihm zu. „In Berlin konnten über Jahre nur 4000 Wohnungen für den Mietwohnungsmarkt zurückgewonnen werden“, sagt sie. Es bestehe Wohnungsmangel in der Hauptstadt, aber der lasse sich nicht bekämpfen, indem das Vermieten an Urlauber verboten werde.

Die Nöte und Konflikte mit ihrem Geschäft haben die Touristiker verstanden, mit der Suche nach Lösungen tun sie sich aber schwer. Das Beratungsunternehmen McKinsey empfahl zur Reisemesse ITB in einer Untersuchung unter anderem, schwankende Preise einzuführen, die Urlaub zu Stoßzeiten verteuert. Mit dieser Idee kann sich auch Roland Conrady, Tourismusforscher von der Fachhochschule Worms und Organisator der ITB-Kongresses, anfreunden. Nahezu jede Fluggesellschaft und jeder Hotelkonzern steuere über Preise für Tickets und Zimmer die Nachfrage, Urlaubsorte nutzten diese Möglichkeit wenig. Eintrittspreise und Kurtaxen seien konstant. Die McKinsey-Berater verweisen auf die Erfahrungen an der Aussichtsplattform des Burj Khalifa in Dubai. Dort seien trotz Aufschlägen die Eintrittskarten zu Stoßzeiten ausverkauft. Zahlende Urlauber sorgen so für mehr Einnahmen aus dem Tourismus. Geld für Folgeinvestitionen.

DRV-Präsident Fiebig ruft noch nicht nach schwankenden Eintrittspreisen. „Mit einer klugen Steuerung und Entzerrung lassen sich Schwierigkeiten in den Griff bekommen“, sagt er. Eine erste Stufe könnten Smartphone-Apps sein, die Gästen die aktuellen Besucherzahlen und Wartezeiten anzeigten, damit sie sich für eine andere Uhrzeit entschieden. So gern der DRV-Präsident Overtourism als begrenztes Ärgernis verstanden wissen will, er sieht auch, dass sich nicht von allein alles zum Guten wenden wird. Die Debatten werden zunehmen, wenn die Branche nicht aktiv werde, ist Fiebig überzeugt. „Da kommt noch einiges auf uns zu, weil auch Menschen aus asiatischen Ländern immer mehr reisen“, sagt er. „Wir müssen einiges tun, auch um die Qualität unserer Produkte zu erhalten.“

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