Airbnb sucht mehr Kunden

F.A.Z. vom 14. November 2015 Der amerikanische Vermittler von Wohnraum gelobt die Rückkehr zu seinen Wurzeln – mit weniger industriellen Ansätzen und mehr Gemeinschaftsgefühl. Die Hotellerie mag an diese Versprechen noch nicht so recht glauben.

Das Geschäftsmodell ist wie gemacht zum Erzählen von Anekdoten. Folglich gibt es davon genug auf dem „Airbnb-Open“-Kongress, zu dem der Unterkunftsvermittler nach Paris geladen hat. In den alten Hallen eines früheren Schlachthofs – heute ein Kongresszentrum am Stadtrand – erscheint Airbnb wie die Vereinten Nationen für Urlauber, ein Dienstleister der Völkerverständigung. Dazu trägt die Geschichte von Julia und Silvio Ortego bei.

Das kubanische Ehepaar holte sein altes Ford-T-Modell aus der Garage, um Urlauber durch den Inselstaat zu fahren. Seit zwischen dem Land und den Vereinigten Staaten die Zeichen auf Entspannung stehen, empfangen sie regelmäßig amerikanische Airbnb-Nutzer. Auf der Konferenz in Paris werden sie von 5000 Airbnb-Unterkunftsanbietern aus 110 Ländern wie Popstars begrüßt.

Gleiches gilt für Debbie und Michael Campbell aus Seattle – er 70 Jahre alt, sie 59. Zum Ruhestand haben sie ihr Haus verkauft, um als „Senioren-Nomaden“ durch die Welt zu touren. „Wir wollten ausprobieren, ob wir Vollzeit mit Airbnb reisen und dabei Geld sparen können“, sagt er. 82 Airbnb-Unterkünfte hat das Paar in gut zwei Jahren gebucht.

Sie erzählen, wie ihr Gastgeber in Salzburg, ein Musikstudent, sie mit zu Konzerten nahm, wie ein Ehepaar aus dem griechischen Teil Zyperns sie zu einem Grenzspaziergang überredete, um das geliebte Restaurant im türkischen Teil der Insel zu zeigen. Es menschelt auf der Konferenz, auf der sich Airbnb selbst feiert und Journalisten dazu gebeten hat. Und das soll es auch auf dem bislang größten Gastgebertreffen der Plattform.

„Unser Unternehmen ist anders als andere Internet-Startups: Bei uns steht nicht eine Technologie im Mittelpunkt, sondern die Menschen“, verkündet Gründer und Vorstandschef Brian Chesky. „Wer mit Airbnb reist, lernt eine Stadt über ihre Bewohner, nicht über ihre Bauten und Sehenswürdigkeiten kennen.“ In der Veranstaltungshalle sind die größten Anhänger des Portals unter sich. Sie applaudieren zu jeder Neuigkeit, als wäre Steve Jobs auferstanden und hätte das neueste iPhone hoch gehalten.

Außerhalb der Halle steht das Geschäftsmodell derweil in der Kritik. Städte klagen, Apartments würden durch Kurzzeitvermietungen dem lokalen Wohnungsmarkt entzogen. Andere Kommunen bemängeln, die Plattform stehe für einen Graumarkt, auf dem unter dem ideologischen Überbau der Ökonomie des Teilens ein Beherbergungsgewerbe aufgezogen werde. Missverstanden oder gar angegriffen fühle man sich dennoch nicht, beteuert Strategiechef Chris Lehane. „Wir befinden uns in einem neu entstehenden Wirtschaftsraum, der vor ein paar Jahren noch nicht existiert hat.“ Dennoch bläst Airbnb zur Charmeoffensive.

Chesky sagt, man achte nun verstärkt darauf, dass Anbieter nur selbst genutzte Domizile inserierten. Massenanbieter, die eine zweistellige – in Extremfällen eine dreistellige – Zahl an Unterkünften annoncieren, sollen zurückgedrängt werden. Zuvor hatte der Tourismusverantwortliche der Stadt Paris, Jean François Martins, liebe Worte, aber auch Mahnungen an die Airbnb-Anhänger gerichtet. Die schönste Stadt der Welt sei auch der Ort, „wo die großen Ideen wachsen“.

Mittlerweile gebe es aus keiner anderen Stadt mehr Angebote auf der Plattform als aus Paris. „Aber große Ideen brauchen Regulierung“, diktierte Martins den Airbnb-Anhängern. „Wir müssen darauf achten, dass Airbnb eine Plattform ist, auf der Menschen nur ihre Erstwohnung teilen.“ Mehr als eine Million Anbieter zählt das Unternehmen insgesamt auf seinen Seiten, aber rund zwei Millionen Inserate. Für Paris ist man sicher, dass 93 Prozent der Anbieter nur eine Adresse inserieren.

Die Mahnungen aus Paris greift das Unternehmen auf. Chesky präsentiert einen Katalog der Selbstverpflichtungen. Airbnb will darauf hinwirken, dass Gastgeber anfallende Hotelsteuern zahlen. Und das Unternehmen öffnet seinen Datenbestand. Kommunen sollen sehen, wie viele Angebote es in einer Stadt gibt und wie viel ein Anbieter im Durchschnitt verdient. In den Vereinigten Staaten sind es 7530 Dollar im Jahr. Franzosen sind noch weniger geschäftstüchtig, 1970 Euro Jahreserlöse hat Airbnb ermittelt. Zu eigenen Bilanzzahlen schweigt das Unternehmen. Airbnb sucht seine Rolle auf dem Reisemarkt – und die liegt irgendwo zwischen großen Reisevermittlern wie Expedia oder Booking.com und der Idee einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, die sich wechselseitig Unterschlupf gewähren.

Künftig sollen sich Apartmentanbieter untereinander Tipps geben, Erfahrene sollen neue anlernen, um die Gemeinschaft zu stärken. Wenn nicht mehr jeder Massenanbieter auf die Plattform gelassen werden soll, sollen es Kleinanbieter einfacher haben, ihre Wohnungen zu inserieren. Airbnb liefert ihnen einen neuen Algorithmus, um den optimalen Übernachtungspreis zu bestimmen. Noch verschenkten Anbieter Chancen durch zu niedrige Preise, andere brächten sich mit überzogenen Preisvorstellungen um Buchungen. 13 Prozent höhere Einnahmechancen verspricht Airbnb durch den Einsatz des „Smart-Pricing“-Algorithmus. Die Bedingung, dass Gastgeber allzeit bereit zur persönlichen Übergabe der Wohnungsschlüssel sein müssen, soll wegfallen.

Mit Hausvernetzungsspezialisten wie dem von Google gekauften Anbieter Nest wurden technische Lösungen erarbeitet, um mit virtuellen Schlüsselcodes Wohnungstüren per Smartphone zu öffnen. Der persönliche Kontakt, den Airbnb hochhält, wäre für eine Schlüsselübergabe nicht mehr nötig. So sollen auch Geschäftsreisende gewonnen werden, die überwiegend Hotels nutzen. Den Airbnb-Nutzern der ersten Stunde gefallen in Paris vor allem die Ideen, mit denen die Unternehmenslenker den Gemeinschaftsgedanken hochhalten. Hotelverbände sehen die verkündeten Selbstverpflichtungen von Airbnb hingegen skeptisch. Während die Airbnb-Open-Konferenz in Paris läuft, legt der europäische Hoteldachverband Hotrec einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog vor. Es gebe weiter eine „schleichende Industrialisierung von Kurzzeit-Vermietungen“.

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