Wie Fernbusse der Bahn zusetzen

F.A.Z. vom 7. November 2015. Mehr Reisende als zunächst erwartet wechseln von der Schiene auf die Straße. Das zeigt eine neue Marktuntersuchung. Knapp die Hälfte der Buspassagiere waren zuvor Zugkunden.

Seit es auf der Autobahn bunter ist, hat es die Deutsche Bahn schwerer. Fernbusse in grüner, gelber oder blauer Lackierung haben den weiß-roten Zügen Fahrgäste abgenommen – einer neuen Untersuchung zufolge sogar mehr als angenommen. „44 Prozent der Fernbuskunden haben zuvor die Bahn genutzt“, sagt Tom Reinhold von der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman. 2013, kurz nach der Liberalisierung des Fernbusmarkts, war das Statistische Bundesamt noch von etwa 15 Prozent ausgegangen. Die Annahme, dass Fernbusse mit Billigtickets viele Menschen zum Reisen animieren, sieht er als widerlegt an. Nur jeder zehnte Fahrgast wäre nach den Zahlen von Oliver Wyman daheim geblieben, wenn es die Busverbindung nicht gegeben hätte.

Die Zahlen, die dieser Zeitung vorliegen, hat das Unternehmen durch Abfragen bei Unternehmen und durch eigene Hochrechnungen ermittelt. Sie weisen die Bahn als Verlierer der Liberalisierung des Fernbusmarktes aus. Kein anderer Verkehrsträger hat so viele Nutzer verloren – Umsteiger vom eigenen Auto machen nur 15 Prozent der Buskunden aus, auch einst bei Studenten beliebte Mitfahrzentralen haben weniger Nutzer abgegeben. „Durch die Fernbusse sind der Bahn 5 Prozent ihrer Fernreisenden verlorengegangen“, sagt Reinhold.

129 Millionen Personen fuhren 2014 mit ICE und Intercity durch Deutschland. In Fernbusse stiegen laut Statistischem Bundesamt 16 Millionen Fahrgäste. Die genaue Zahl ist schwer zu ermitteln, Schätzungen zufolge könnten es auch 20 Millionen gewesen sein. Wenn fast jeder Dritte zuvor Bahn gefahren ist, kann ihr jeder zwanzigste mögliche Fernverkehrsreisende abhandengekommen sein. „Bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Umsatz von etwa 30 Euro wäre der Bahn ein Umsatzverlust von 180 Millionen Euro entstanden“, rechnet Reinhold vor. Einbußen durch Sparpreise nicht berücksichtigt. „Ohne die Fernbuskonkurrenz hätte der Gewinn im Fernverkehr doppelt so hoch sein können“, sagt er. Für 2014 wies die Bahn ein operatives Fernverkehrs-Ergebnis von 212 Millionen Euro aus – 45 Prozent weniger als 2013.

Zählt man die Umsteiger von Regionalzügen hinzu, steigen die Einbußen. Jeder siebte Fernbuskunde sei von Verbindungen gewechselt, die zum Nahverkehr zählen. Dabei geht es nicht um S-Bahn-Distanzen. Postbus, Mein Fernbus-Flixbus und andere Herausforderer dürfen erst für Strecken ab 50 Kilometern Tickets verkaufen. Es gibt aber längere Verbindungen wie von Rostock nach Berlin oder von München zum Bodensee, auf denen Regionalexpress- statt Intercity-Züge verkehren.

Die Bahn verliert Kunden an Busse, die mit Angeboten unterwegs sind, bei denen der Staatskonzern kaum mithalten will und kann. Auch für die Busse ist das bunte Wettrennen auf den Autobahnen nicht immer lukrativ. Der britische Anbieter National-Express hat seinen deutschen Ableger City-2-City geschlossen, Dein Bus rutschte in die Insolvenz, der ADAC hat die Postbus-Partnerschaft verlassen. Einnahmen von 5 bis 6 Cent je Kilometer und Passagier nannten Anbieter 2014 in einer Untersuchung des Bundesamts für Güterverkehr als Minimum, um profitabel zu fahren. Bis heute gibt es auf einigen Strecken Fahrkarten ab 4 Cent je Kilometer.

Das ist doppelt schlecht für die Bahn. Reisende haben sich zum einen an Niedrigpreise gewöhnt. „Einst hat sich die Bahn viel Mühe gegeben zu kommunizieren, dass ein Sparpreis für den Zug im Vergleich zu den Vollkosten einer Autofahrt keine schlechte Wahl ist. Vor fünf Jahren galt die Bahn nicht mehr als teuer.“ Das ist Vergangenheit. Zum anderen verursacht ein Zug oft höhere Kosten. „Bahnen haben auf Strecken mit geringem Passagiervolumen einen strukturellen Nachteil – Züge sind erst ab einer Auslastung von über 80 Prozent günstiger zu betreiben als Busse“, sagt der Oliver-Wyman-Berater. Eine Beispielrechnung, die Doppeldeckerbusse mit 85 Plätzen und Züge mit 300 Sitzen vergleicht, soll das verdeutlichen. Fahren weniger als 85 Passagiere mit, sei der Bus mit fast viermal niedrigeren Kosten unterwegs. Ab 260 Fahrgästen ist der Zug wirtschaftlicher.

„Auf Strecken mit hohem Fahrgastaufkommen wie von Frankfurt nach Köln ist die Bahn theoretisch unschlagbar“, sagt Reinhold. Doch es gebe Optimierungsbedarf, der theoretische Vorteil werde nicht voll ausgenutzt. Derweil verkauft die Buskonkurrenz ihre Karten umso günstiger, je besser das Zugangebot ist. Tiefstpreise je gefahrenem Kilometer ermittelten die Studienautoren zwischen Hamburg und Berlin sowie Frankfurt und München, wo mehr als ein ICE je Stunde fährt. Auf Strecken wie von Tübingen nach Karlsruhe zum Beispiel seien die Bedingungen für die Bahn ungünstiger. „Solche Strecken erlauben Fernbusanbietern, hohe Fahrpreise zu verlangen“, sagt Reinhold.

Die Unterschiede sind groß: Lag bei Strecken wie von Hamburg nach Berlin der durchschnittliche Preis für eine Buskarte bei etwa 4 Cent je Kilometer, war es zwischen Göttingen und Köln fast das doppelte. Auch wenn die Fernbusnetze mittlerweile langsamer wachsen und Express- sowie Nachtverbindungen statt komplett neuer Strecken dazukommen, geht das Bundesverkehrsministerium davon aus, dass noch mehr Reisende umsteigen. Bis 2030 seien 25 Millionen Fahrgäste möglich – 50 Prozent mehr als die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts ausweisen. Dem Zugverkehr bleibt nur die Reaktion. „Zum einen müssen Bahnen ihre Standardpreise enorm reduzieren. Promotions und Aktionen genügen nicht“, sagt Reinhold. Es gehe um eine Absenkung von bis zu einem Drittel. Die Bahn hat angekündigt, zum Dezember auf die turnusgemäße Preiserhöhung zu verzichten. Und für niedrigere Preise müsste es zum anderen auch geringere Fahrzeiten geben, sagt Reinhold, „indem Bahnen beispielsweise die Zahl der Zwischenhalte verringern“.

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