Von Corporate Kasperln und Eierköpfen

F.A.Z. vom 23. September 2015. Seit einem halben Jahr führt Stefan Pichler Air Berlin – auch mit vielen markigen Worten. Kommende Woche steht sein Sanierungsplan zur Abstimmung.

Es ist das Naturell von Stefan Pichler, auch mal das zu sagen, was er gerade denkt. Steht Pichler, seit Februar Vorstandsvorsitzender der Fluggesellschaft Air Berlin, allein auf großer Bühne, kann ihn niemand dabei aufhalten. Er wolle nicht nur mit der zweiten Garde der Lufthansa arbeiten, dieser Ausspruch ist Beschäftigten der angeschlagenen Nummer zwei der deutschen Luftfahrt in Erinnerung; Zahlreiche von ihnen waren zuvor für den deutschen Marktführer tätig, auch Pichler stand einst im Dienst der Lufthansa. Mittlerweile hat er in Berlin Manager ausgetauscht. Der Vertriebsvorstand – zuvor Lufthanseat – wurde mit Lob zum Großaktionär, der Fluggesellschaft Etihad, nach Abu Dhabi abgegeben, der Nachfolger vom spanischen Billigflieger Vueling geholt.

Zuletzt klang der Manager aber zurückhaltender. „Ich soll über etwas reden, was wir schon gemacht haben“, sagte Pichler vor Führungskräften der deutschen Touristik und Luftfahrt auf dem Kongress des Branchenmagazins „FVW“. Woran er als Nächstes denkt, sollte nicht Thema sein. Doch daraus machte Pichler keinen Hehl. So redet einer, der die Bühne bereitwillig ausfüllt, der aber nur noch so wenig wie möglich sagen soll. Das hat zwei Gründe: Zum einen tagt am kommenden Dienstag der Verwaltungsrat. Es geht um das nächste Rettungskonzept für die Gesellschaft, die 2015 ein weiteres Verlustjahr durchfliegt. In der ersten Jahreshälfte war der Fehlbetrag größer als im Vorjahreszeitraum.

Die zweite Jahreshälfte soll besser angelaufen sein, für die Sommerferienzeit meldete Air Berlin eine „Rekordauslastung“ in einer verringerten Zahl von Flügen. 2016 will Pichler vor Zinsen und Steuern profitabel fliegen, seine Gesellschafter erwarten nach trüben Jahren einen Schwenk in diese Richtung. Deshalb geht es am Dienstag um das Nachjustieren des Geschäftsmodells, um das Streichen von Strecken und um den Abbau von Personal. „Schmerzliche Einschnitte“ werden in Konzernkreisen erwartet.

Der andere Grund für die gemäßigten Worte des Vorstandschefs ist, dass manches aus seinem Mund zur Zukunft von Air Berlin intern für wenige Schmunzler sorgte. Seine Sanierungsanstrengungen seien „unser letzter Schuss“, teilte er über die „Süddeutsche Zeitung“ mit. Das sollte größte Entschlossenheit demonstrieren und wohl andeuten, dass niemand außer ihm noch die Wende schaffen könne. Doch die Notierungen der Air-Berlin-Anleihen krachten hinunter. Etihad, mit 29 Prozent an Air Berlin beteiligt, soll das nicht gefallen haben, obwohl die Anleihen schnell wieder auf Vor-Interview-Niveau zurückkehrten. Nun ist man im Air-Berlin-Cockpit vorsichtiger, Pichler steht ein neuer Pressesprecher zur Seite.

Doch Stefan Pichler wäre nicht Stefan Pichler, wenn er sich nicht dennoch Freiheiten nähme. Er spricht von „Figuren“ und „Eierköpfen“ aus Beratungsgesellschaften, auf die er für die Airline-Rettung bewusst verzichtet. Seine Kurzversion der Geschichte über die vergangenen Jahre der Gesellschaft klingt so: „Mit dem Abschied von Joachim Hunold ist Air Berlin der Sinn verlorengegangen, danach sind irgendwelche Corporate Kasperl gekommen.“ Und das nächste Schaubild zu seinem Vortrag sei „zensiert“. Statt einer Frau in Langarmbluse sei ursprünglich eine Blondine abgebildet gewesen, die mehr Haut zeigte – tätowierte Haut wie das Model auf dem aktuellen Air-Berlin-Kundenmagazin. Die Schaubilder sollen vor seinem Auftritt auch in Abu Dhabi vorgelegen haben.

Der 57 Jahre alte gebürtige Münchner wünscht sich eine Air Berlin, die frecher und weniger angepasst ist – irgendwie wie ihr Chef. „Wir können keine kleine Lufthansa sein – da haben wir keine Chance“, doziert Pichler. „Wer zum Establishment gehört, lebt wie in einer Kruste.“ Die Position des Herausforderers verschaffe Freiheiten. Air Berlin soll wieder diese Rolle einnehmen, Pichler scheint in ihr schon aufgegangen. Er sorgt für frischen Wind. Alle Beteiligten hätten es im Voraus ahnen können, dass er sich nicht einzwängen lässt. Sein Vorgänger Wolfgang Prock-Schauer scheute den großen Auftritt. Pichler hat sich hingegen mehrmals bescheinigt, dass er nicht als „Konzernsoldat“ tauge.

Vor einem Jahrzehnt musste er nach einem zu forschen Expansionskurs den Chefposten im Reisekonzern Thomas Cook räumen. Auf ein Intermezzo als Tauchlehrer auf den Malediven folgten aber Erfolge. Er trimmte die australische Fluggesellschaft Virgin Blue auf Effizienz, schaffte bei Jazeera Airways in Kuweit eine fulminante Wende und verdingte sich bei der Gesellschaft der Fidschi-Inseln. Die Aufgabe in Berlin ist eine Rückkehr in frühere Gefilde. Doch zu Hause fühlt er sich anderswo. Seine Frau ist Australierin, im Nordosten des Landes hat er seine Wohlfühlzone gefunden. Bevor er für länger dorthin zurückkehren will, will er eine Drehung mit Air Berlin fliegen. Jeder Teil der Gesellschaft müsse einen Beitrag leisten, fordert er.

Dass auf Kurzstrecken der kostenlose Happen gestrichen wird – und sei es bloß ein Probiertütchen eines Snackherstellers – spart allein Logistikkosten von mehr als 30 Millionen Euro. Die Produktion des Kundenmagazins wurde an ein Londoner Redaktionsbüro vergeben. Bislang kostete das Heft 800 000 Euro im Jahr, nun soll es Geld einspielen. Klapptische an Bord werden als Werbeflächen vermarktet. Kleinigkeiten im Vergleich zu einem möglichen Stellenabbau und zum Durchforsten des Streckennetzes. Geprüft wird, ob Verbindungen quer durch Europa mit Umstieg in Berlin noch Sinn ergeben, wenn Konkurrenten direkt fliegen. Auch die Strecke von Frankfurt nach Berlin soll auf dem Prüfstand stehen. Vom „letzten Schuss“ spricht Pichler nicht mehr, eilig hat er es dennoch. Nach innen und außen gibt er als Leitsätze aus: „Kompetenz schlägt Hierarchie“ und „Schnelligkeit sticht Perfektion“.

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