Bett und Brötchen sind Airbnb nicht genug

F.A.Z. vom 22. August 2014 Die Online-Plattform mischt das Reisegeschäft auf. Doch als Konkurrent zu Hotels sieht sie sich nicht. Wohin will der Europa-Chef das Geschäft von Airbnb in Deutschland lenken?
Klingeln kann man bei Airbnb nicht. Zumindest steht auf dem Klingelschild an der Etagentür nicht der Unternehmensname. In Deutschland wohnt das Unternehmen, das mit der Vermittlung von Wohnraum an Reisende Bekanntheit erlangt hat, selbst zur Untermiete. Mitten in Berlin, eine Straßenecke vom Bahnhof Alexanderplatz entfernt, hat das Unternehmen Springstar Unterschlupf gewährt. Der Start-up-Investor ist Airbnb seit langem verbunden, Springstar hat das Portal beim Schritt nach Deutschland begleitet. Das Überlassen der Bürofläche ist die letzte Starthilfe. Mittlerweile wird es Airbnb in Berlin-Mitte zu eng, ein eigenes Domizil wird gesucht.

„Wir sind stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft gelangt, sind aber noch kein Massenprodukt“, sagt Christopher Cederskog, 32 Jahre alt und neuer Chef für Mittel- und Südosteuropa. Das klingt bescheiden – angesichts von 1000 Mitarbeitern, die Airbnb in aller Welt hat. In 800 000 gelisteten Unterkünften vom Baumhaus bis zur Villa, die Eigentümer über Airbnb Reisenden zum Mieten anbieten, haben schon 20 Millionen Gäste übernachtet, Tendenz steil steigend. Das Unternehmen wird inzwischen mit zehn Milliarden Dollar bewertet – mehr als die Hotelkette Hyatt.

Cederskog hat dennoch kein eigenes Büro. Zu einer Tauschplattform passt permanente Teamarbeit anscheinend besser. Gearbeitet wird im Berliner Airbnb-Domizil an weißen Tischinseln mit je vier Plätzen, am zweiten Tisch rechts ist der Platz von Cederskog. Seine Berufslaufbahn begann er bei der Deutschen Bank in Frankfurt, kehrte aber dem Arbeitsleben im Großkonzern den Rücken. Nach einer Zwischenphase als Gründer zog es ihn in die Airbnb-Zentrale in San Francisco. Nun ist er zurück in Deutschland – auf dem ebenso unscheinbaren wie wichtigen Kommandostuhl für die Expansion in Europa.

Aus der amerikanischen Idee für Airbnb ist längst ein sehr europäisches Geschäft geworden. Die Mehrzahl der Quartiere wird hier vermittelt, 58 Prozent der Inserate stammen aus Europa. Nicht der Gründungsort San Francisco oder New York sind die Städte mit den meisten Annoncen, es ist Paris. Auch Berlin zählt zu den stark nachgefragten Destinationen. Dabei haben bislang erst 5 Prozent der Bundesbürger Plattformen wie Airbnb genutzt, wie der IT-Branchenverband Bitkom ermittelte. 27 Prozent könnten sich das aber für die Zukunft vorstellen. Das wären mehr als 20 Millionen Menschen. Airbnb – in Bezug auf Geschäftszahlen verschwiegen – sprach vor einiger Zeit von rund einer Million Übernachtungen Deutscher in einem Jahr. Mehr Wohnungsangebote, mehr Übernachtungen – das allein reicht Airbnb aber nicht mehr als Beleg für Wachstum. Was 2008 mit einer Idee der Gründer Brian Chesky und Joe Gebbia begann, soll sich zu einer Parallelwelt zur Tourismusindustrie entwickeln.

Als in der Studenten-Wohngemeinschaft der beiden ein Zimmer frei war und wegen eines Kongresses die Hotels in San Francisco ausgebucht waren, legten Chesky und Gebbia drei Luftmatratzen in ihr freies Zimmer und versprachen den Gästen dazu ein Frühstück. 80 Dollar pro Nacht kassierten sie. Ohne dieses Geld hätten sie die Miete nicht zahlen können. Nun merkten sie, dass es einen Markt gibt, Vermieter und Reisende im Internet zusammenzubringen. Die Gründungsanekdote wurde zum Unternehmensnamen: Airbnb steht für Airbed and Breakfast – Luftmatratze und Frühstück. Doch Bett und Brötchen reichen Airbnb nicht mehr.

„Wir nehmen die gesamte Reise in den Blick“, erklärt Cederskog. Airbnb will Komplettanbieter für Reisen werden und doch anders bleiben als die etablierten Touristiker. Unklar, ob diese Vision den Rest der Reisebranche beunruhigen oder besänftigen soll. Zur Erklärung des Zukunftswegs von Airbnb scheut Cederskog jedenfalls nicht den Vergleich mit prominenten Namen wie Conrad Hilton, dem Gründer der gleichnamigen Hotelkette. „Hilton wollte, dass Amerikaner in viele Länder reisen und dass ihr Hotel überall gleich aussieht. Wir machen es lieber individueller“, sagt Cederskog. „Wir sehen uns nicht als direkte Konkurrenz, sondern als Erweiterung des Angebots.“

Und dazu gehören allerlei Testläufe. In San Francisco lässt sich ein Gastaufenthalt am Essenstisch buchen. Die Putzfrau, die nach der Abreise des Besuchers saubermacht, könnte ebenfalls Teil des Geschäfts werden. Der Abholdienst, der einen Gast vom Flughafen zum Domizil bringt, wäre eine Weiterung, ebenso das Befüllen des Kühlschranks vor der Ankunft des Gastes. Doch längst nicht jede mögliche Ergänzung scheint geeignet.

„In einer individuellen Wohnung den Urlaub verbringen und die Stadtrundfahrt im Doppeldeckerbus mit Erläuterungen aus dem Lautsprecher machen, das passt nicht zusammen“, ist Cederskog überzeugt. Passender sei die persönliche Stadtführung, bei der Einheimische Geheimtipps offenbaren und der Gast Wünsche einbringen kann. „Wir sehen uns nicht als Anbieter, sondern als jemand, der Erlebnisse ermöglicht. Das Erlebnis selbst gestalten die Gastgeber und die Gäste selbst viel besser“, sagt Cederskog.

Als Gäste hat er dabei nicht nur private Weltenbummler im Visier. 10 Prozent der Buchungen sollen schon jetzt von Geschäftsreisenden kommen. „Denen machen wir es aber bislang nicht leicht“, räumt Cederskog ein. Eine Rechnung, die den Formvorschriften genügt und die Mehrwertsteuer ausweist oder Übernachtungs- und Verpflegungskosten aufschlüsselt, schreiben die wenigsten Wohnungsanbieter. Eine Partnerschaft mit dem Geschäftsreisedienstleister Concur soll Abhilfe schaffen. 30 amerikanische Unternehmen, darunter der Softwareanbieter Salesforce und der Streamingdienst Spotify, nehmen am Testlauf teil.

Erfolg schafft Neider, und auch an Gegnern, die Airbnb den Garaus machen wollen, mangelt es nicht. Die Expansion wird zum Hürdenlauf. In Berlin bekommt Cederskog das zu spüren. Die Stadt sieht Airbnb als Schädling auf dem Wohnungsmarkt und hat ein Zweckentfremdungsverbot beschlossen. Eigentümer würden Apartments dauerhaft über Airbnb anbieten und dem Wohnungsmarkt entziehen, heißt es. Steigende Mieten und Straßenzüge ohne heimische Bewohner wären die Folge. Seit Mai ist das Vermieten privater Ferienwohnungen in Berlin nicht erlaubt – es sei denn, der Eigentümer hat das Quartier angemeldet, dann bleibt ihm eine zwei Jahre lange Übergangsfrist. Dass Airbnb zur Wohnungsknappheit beitrage, lasse sich nicht belegen, argumentiert Cederskog. „In Berlin schaffen der Leerstand von Wohnungen, der Abriss und der zögerliche Neubau viel größere Probleme als einige tausend Wohnungen, die über Airbnb vermittelt werden“, sagt er. Zudem würden 77 Prozent der Wohnraumanbieter ihre Räume nur gelegentlich inserieren, folglich die meisten selbst darin wohnen.

77 Prozent – das bedeutet allerdings auch, dass es ein reiches gewerbliches Angebot auf dem Portal gibt. Und allzu viel davon kann Airbnb nicht recht sein, da sonst der Grundgedanke des Unternehmens verwässert wird. Schließlich ist man bei Airbnb beseelt von der Idee, ein weltumspannendes Netzwerk von Menschen zu schaffen, die sich untereinander gegen Geld Unterkünfte anbieten und den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten. „Airbnb ist viel mehr als das Mieten von Zimmern, es geht um Zugehörigkeit“, betonte Gründer Chesky kürzlich. Von Nutzern der Plattform gibt es dafür Zustimmung, doch Kritiker bringt er so nicht zum Verstummen.

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