Keine Zeit für Souvenirs

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 2011 Dienstreisen sind eng getaktet. Seit der Krise sparen Unternehmen, wo sie können: Ein Stern weniger beim Hotel tut es auch. Auf Langstreckenflügen zahlt sich die Business-Klasse jedoch aus.

Vorne sitzen, dürfen sie immer seltener. Sie müssen im Flugzeug an den ersten Sitzreihen für Business-Class-Passagiere vorbei gehen. Obwohl sie zum Geschäfte machen unterwegs sind, halten die Reisenden im Dienste ihres Arbeitgebers Reservierungen für Sitze weiter hinten in der Economy-Class in den Händen. Geringerer Sitzabstand, weniger Beinfreiheit, kein freier Nachbarplatz zum Deponieren von Unterlagen – für Geschäftsreisende gehört das mittlerweile zum Alltag.

Hektischer, kürzer, anstrengender – das gilt für viele Dienstreisen. Die Vorstellung vom Urlaub auf Firmenrechnung bedient bloß Klischees. In der Finanzkrise entdeckten auch die letzten Unternehmen die Sparpotentiale in ihren Reiseetats. Economy- statt Business-Class: Der Klassenunterschied zwischen Urlaubern und Handelsreisenden im Flugzeug besteht nur noch in der Bezeichnung der Sitzgruppen, tatsächlich sitzen sie nebeneinander in der Jedermann-Kategorie. „Statusdenken hat keinen Platz mehr in einer Zeit, in der Downgrading in die Reiserichtlinien Einzug gehalten hat“, sagt Hans-Ingo Biehl, Hauptgeschäftsführer im Verband Deutsches Reisemanagement (VDR), dem mehr als 500 Unternehmen angeschlossen sind.

Im Krisenjahr 2009 sanken hierzulande die Reiseausgaben um 12 Prozent. Von einer „Vollbremsung“ spricht Martina Eggler. Sie ist Marketing- und Vertriebschefin des Geschäftsreisedienstleisters Carlson Wagonlit Travel (CWT). In dessen Deutschlandzentrale in Eschborn bei Frankfurt bekommt man das Sparen zuerst zu spüren. Denn CWT organisiert und bucht quasi als Reisebüro für Großkunden Fahrten und Aufenthalte. Allein in Deutschland bringt es das Unternehmen auf einen Umsatz von mehr als 900 Millionen Euro im Jahr, international sind es 24 Milliarden Dollar. „Es wurde in allen Bereichen und sämtlichen Facetten gespart“, erinnert sich Eggler an den Konjunktureinbruch vor zwei Jahren. Tickets früher zu buchen, um günstigere Tarife zu ergattern, war dabei der mildeste Schritt. Einige Unternehmen entschieden sich gar für einen „Travel Freeze“, niemand durfte mehr reisen. Dazwischen lagen viele Abstufungen: Fliegen in der Economy-Class, Übernachten in Drei-Sterne- statt Vier-Sterne-Hotels, online buchen statt telefonisch Reiseaufträge erteilen.

Die Geschäftsreisewelt „nachhaltig verändert“

Mittlerweile sind die Auflagen nicht mehr ganz so hart. Der VDR-Geschäftsreiseanalyse zufolge stieg die Zahl der Fahrten im vergangenen Jahr um fast 7 Prozent, 43,5 Milliarden Euro gaben Konzerne hierzulande für die Reisen aus. Doch das Geschäft mit den dienstlichen Touren läuft längst nicht wie in der Vergangenheit. „Unternehmen haben gelernt zu sparen“, berichtet Eggler. „Viele weitere Umstellungen des Travel-Managements, die in Zeiten der Wirtschaftskrise eingeführt wurden und sich nun in den Reiserichtlinien wiederfinden, haben weiterhin Bestand.“ Und die bedeuten: weniger Reisefreiheit. In vielen Konzernen sei auf innereuropäischen Strecken die Economy-Class Zwang – ohne Ausnahmen. Zudem müssten bestimmte Tarife genutzt, Buchungsfristen eingehalten werden. Wer sich nicht rechtzeitig um die Reise kümmert, darf nicht mehr mit der Erstattung seiner Auslagen rechnen.

Auch VDR-Hauptgeschäftsführer Biehl bestätigt, dass die Krise die Geschäftsreisewelt „nachhaltig verändert“ hat. „Ein Zurück zum Vorkrisenniveau wird es wohl nicht mehr geben – allein schon, weil viele Einsparmaßnahmen akzeptiert und beibehalten werden“, sagt er. Ein Tag außerhalb des Büros kostete laut VDR-Studie 2010 rund 127Euro, ein Jahr zuvor waren es noch 142 Euro gewesen. Dabei ist Reisen in der Zwischenzeit eigentlich teurer geworden. Für Flüge schlägt der gestiegene Kerosinpreis durch, Hotels haben ihre Zimmermieten angepasst. Viel Luxus ist unterwegs also nicht möglich.

Dass Reiseabteilungen von Unternehmen stärker beobachtet werden, spürt auch Dirk Gerdom. Er leitet die Reiseorganisation im Softwarekonzern SAP. „In den letzten Jahren ist das Reisemanagement noch strategischer geworden, und Travel Manager haben für ihre Arbeit mehr Aufmerksamkeit aus dem obersten Management erhalten“, sagt er. Das Organisieren von Treffen im Ausland sowie das Buchen von Flügen und Übernachtungen gelten nicht mehr bloß als Verwaltungsaufgabe. In den Chefetagen sei mittlerweile bewusst, „dass ein professionelles Travel Management klare Einsparungen bringen kann“, erklärt er.

21 Stunden im Flugzeug

Bei weitem nicht jede Kostenkontrolle ist Ausdruck eines übertriebenen Sparwahns. Eine „ganzheitliche Betrachtung“ der Reiseausgaben sei sehr wichtig geworden, sagt Gerdom. In der Vergangenheit tappten nur allzu viele Unternehmen in Fallen. Ein Klassiker war der Mitarbeiter, der mit dem eigenen Wagen zum Flughafen fuhr. Um die gebuchte Verbindung noch zu erreichen, stellte er das Auto auf dem Parkplatz nahe am Terminal ab, der deshalb der teuerste ist. Nach der Rückkehr stand auf der Parkhausrechnung ein ähnlich hoher Preis wie auf dem Flugticket. Manche Taxifahrt auf Firmenrechnung erscheint deshalb nicht mehr als Luxus, sondern als Sparmaßnahme.

Auch von der Jagd nach den billigsten Konditionen – egal ob die Reise deshalb an einem abgelegenen Regionalflughafen oder an einem Drehkreuz wie Frankfurt beginnt – haben sich die Travel-Manager verabschiedet. „Allein höhere Transferkosten zu einem weiter entfernten Airport können Einsparungen durch niedrigere Flugkosten wieder aufheben“, erklärt Gerdom. Gleiches gilt für Hotels, wo nicht mehr nur die bloße Zahl der Sterne über die Buchung entscheidet. „Wichtiger sind zum Beispiel die Lage des Hotels, die Nähe zum Meetingort oder Flughafen sowie die Ausstattung der Hotels, um den Mitarbeitern produktive Arbeitszeit wie auch Wohlbefinden zu ermöglichen“, sagt Geschäftsreisefachfrau Eggler.

Frankfurt – Schanghai und zurück in 72 Stunden, von denen der Mitarbeiter 21 Stunden im Flugzeug sitzt – das ist für viele Geschäftsreisealltag. „Es ist nicht ungewöhnlich, direkt nach einem Langstreckenflug ein Meeting abzuhalten und bereits am Folgetag wieder den Rückflug anzutreten“, berichtet Eggler. Einen Einkaufstag nach Vertragsabschluss, um Frau und Kindern Souvenirs aus Fernost mitzubringen, gibt es nicht mehr. Selbst für den Jetlag, die Müdigkeit wegen der Zeitverschiebung, bleibt häufig keine Zeit.

Vorsichtig beim Einsatz neuer Technologien

Damit Dienstreisen nicht krank machen, zeichnet sich inzwischen ein Gegentrend zur Sparwelle ab. „Wir verzeichnen wieder Zuwächse in der Business-Class auf Langstrecken“, sagt Eggler. VDR-Mann Biehl erklärt, dass auch der Arbeitgeber davon profitiere, wenn sich seine Vertreter auf dem Flug ausruhen können, statt in der Touristenklasse zu hocken. „Es ist nicht gerade eine gute Voraussetzung für einen Verhandlungstermin, wenn der Geschäftsreisende übermüdet und mit Rückenschmerzen im Ausland ankommt“, sagt Biehl.

Und nicht nur für den ruhigen Schlaf über den Wolken greifen Unternehmen in die Reisekasse. Es wächst das Bewusstsein, dass Mitarbeiter, die viel unterwegs sind, auch viele Schadstoffemissionen verursachen. „Nachhaltige Mobilität war immer schon in den Hinterköpfen der Verantwortlichen – jetzt sollten die Ressourcen wieder vorhanden sein, um mehr CO2-Verantwortung zu übernehmen und für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren“, sagt Biehl. Viele Unternehmen empfehlen in ihren Reiserichtlinien „grüne Hotels“, die eine günstige Schadstoffbilanz auswiesen. Der Reiseetat ufere dennoch nicht aus. „Wer sich daran orientiert, wird schnell merken: grün heißt nicht gleich teuer.“

Vorsichtig bleiben Konzerne indes beim Einsatz neuer Technologien im Travel-Management. Mitarbeiter sind unterwegs zwar oft daran zu erkennen, dass sie Wartezeiten mit ihren Smartphones überbrücken. Doch Anschlüsse buchen dürfen die meisten von ihnen damit nicht. „Bei uns sind Apps für die Buchung noch ausgeschlossen, da sie noch nicht in den Gesamtprozess integriert sind“, sagt SAP-Reisechef Gerdom. Er befürchtet, dass jeder Beschäftigte freimütig von jedem Ort der Welt Buchungen stornieren oder ändert, ohne sich um Reiserichtlinien zu kümmern. Wichtig sei daher, „dass es sich um eine integrierte Firmenlösung handelt, die für alle Reisenden gleich ist. Nur so kann der Wildwuchs verhindert werden“, sagt Gerdom. Sonst wären die in den vergangenen Jahren mühsam erzielten Einsparungen schnell wieder aufgebraucht.

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