„Schiffe fahren zu lassen ist keine Bürde“

F.A.Z. vom 1. Juni 2012 Das Unglück der Costa Concordia hat Urlauber und Branche erschüttert. Michael Thamm, der zum 1. Juli im Reedereikonzern Carnival von Aida zu Costa wechselt, ist trotzdem zuversichtlich, dass sich die Zahl deutscher Passagiere bis 2020 verdoppelt. Gleichzeitig rechnet er damit, dass Kreuzfahrten teurer werden.

Herr Thamm, die havarierte Costa Concordia liegt noch wie ein Mahnmal der Kreuzfahrtbranche vor Giglio. Wie tief sind die Spuren, die das Unglück in den Buchungsstatistiken hinterlassen hat?
Es gab eine kurze Phase der Zurückhaltung. Das betraf den Februar und einen Teil des Monats März. Aber es gab keine Stornierungswelle. Inzwischen haben wir sogar mehr Buchungen als im Vorjahr. Kreuzfahrten bleiben nach wie vor sehr beliebt bei den Urlaubern. Für das gesamte Jahr erwarte ich daher in Deutschland unverändert ein starkes Wachstum.

Nun wechseln Sie von Aida zu Costa. Ihr Vorgänger dort hat gesagt, die Marke sei beschädigt. Können Sie das reparieren?
Pier Luigi Foschi hat das nicht so gesagt, wie es in den Medien verbreitet wurde. Er hat gesagt, dass die Folgen des Unglücks für die Marke eine Herausforderung sind. In der Costa-Zentrale in Genua sind 1400 Mitarbeiter beschäftigt, die einen großen Einsatz zeigen. Die Marke wird nicht auf Dauer leiden.

Foschi hinterlässt Ihnen die Bestellung für das bislang größte Costa-Schiff – und eine Option für ein weiteres. Ist das eine Chance oder eine Bürde?
Schiffe fahren zu lassen ist keine Bürde. Das ist unser Leben in der Kreuzfahrtindustrie. In der Carnival-Gruppe mit Costa, Aida und anderen Marken bestellen wir jedes Jahr zwei bis drei Schiffe. Die Entscheidung, weiter zu wachsen, ist richtig. Denn wir erreichen eine sehr hohe Gästezufriedenheit, die durchweg höher ist als bei Urlaubszielen an Land.

Sind die Passagiere an Bord auch sicher?
Unser Ziel als Branche ist die hundertprozentige Verpflichtung zur Einhaltung höchster Sicherheitsstandards. Und Kreuzfahrten sind die sicherste Urlaubsform überhaupt. Durch die Lehren aus dem Unglück werden sie noch sicherer. Rettungsübungen finden inzwischen statt, bevor das Schiff zum ersten Mal ablegt. An den Sammelpunkten auf Deck gibt es noch mehr Reserveschwimmwesten. Außerdem werden wir die Menschen, die auf einem Schiff arbeiten, noch besser schulen. Für die Costa Concordia ist nachgewiesen, dass das Schiff völlig in Ordnung war. Der Kapitän hat das Schiff schlicht an eine Stelle gebracht, wo es nicht hingehörte.

Dieses Jahr kommen zwölf neue oder umgebaute Schiffe auf den deutschen Markt. Wann stößt das Kreuzfahrtgeschäft an seine Grenze?
Die Grenzen liegen in unserem Vorstellungsvermögen, nicht im Markt. Im Jahr werden in Deutschland 40 Millionen Pauschalreisen verkauft, aber nur 1,4 Millionen Kreuzfahrten. Dieser Wert kann sich verdoppeln. Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien haben zusammen genauso viele Einwohner wie die Vereinigen Staaten, aber die Zahl der Kreuzfahrt-Urlauber ist bislang halb so groß.

Was macht Sie so sicher, dass Deutsche genauso gern auf dem Meer reisen wollen wie Amerikaner?
In Deutschland haben Urlauber Kreuzfahrten erst Mitte der neunziger Jahre für sich entdeckt – 20 Jahre später als die Amerikaner. Trotzdem ist Deutschland heute der drittgrößte Markt der Welt. Der Bevölkerung hier geht es im Durchschnitt relativ gut. Wir haben eine breite Mittelschicht, und wir haben mehr Urlaubstage als in anderen Ländern. Das Kreuzfahrtangebot ist auch sehr vielschichtig, das Preis-Leistungs-Verhältnis gut.

Nur noch ein Kreuzfahrtschiff fährt unter deutscher Flagge. Warum nutzen Reedereien die Flagge nicht als Qualitätsmerkmal?
Die deutsche Flagge ist kein Qualitäts-, sondern ein Kostenmerkmal. Hinsichtlich der Produktqualität und der Hygienestandards spielt sie keine Rolle. Wir haben internationale Standards. Die deutsche Flagge ist nicht besser als die englische, die italienische oder die von den Bahamas.

Sie versuchen Personalkosten gering zu halten. Fährt daher mit den Beschäftigten unter Deck ein maritimes Prekariat mit?
Nein, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung werden nicht willkürlich durch eine Reederei festgelegt. Bei Aida werden sämtliche Tarife mit einer Gewerkschaft im Heimatland des Mitarbeiters abgestimmt. Zudem verdienen die Mitarbeiter zum Teil ein Vielfaches im Vergleich zu dem, was sie in ihren Heimatländern verdienen würden.

Damit profitiert Aida vom niedrigen Lohnniveau in deren Herkunftsland?
In erster Linie profitiert der Gast.

Er kann für wenig Geld Urlaub machen, weil andere für wenig Geld arbeiten.
Der Mitarbeiter hat ein niedrigeres Kostenniveau als an Land. Wenn man dagegenhält, dass ein Kellner in Deutschland von seinem Einkommen – anders als an Bord – Wohnen und Essen kaufen muss, glaube ich, dass ein Kellner auf dem Schiff bessergestellt ist. Die Kreuzfahrtindustrie bezahlt deutlich besser als die internationale Hotellerie.

Reedereien haben zuletzt viele Sonderangebote aufgelegt.
Das stimmt. Damit haben wir auf die kurze Buchungsflaute direkt nach dem Unglück vor der italienischen Küste reagiert. Insgesamt werden es 2012 einige Angebote mehr sein als im vergangenen Jahr.

Der Umsatz wächst 2012 also weniger als die Gästezahlen.
Das lässt sich erst sagen, wenn die Zahlen für das gesamte Jahr vorliegen. Reedereien arbeiten anders als Hotels. An Land werden bewusst Zimmer leer gelassen, auf See nicht. Auf einem Schiff haben Sie fast ausschließlich Fixkosten. Es wäre hanebüchen, mit 70 Prozent Auslastung um die Welt zu fahren. Wer sein Geschäft beherrscht, bekommt das Schiff ausgelastet.

Wie lässt sich profitabel arbeiten, wenn eine Zehn-Tage-Reise für 490 Euro verkauft wird?
Solche Angebote gelten nur in einer Kategorie und nur an wenigen Terminen. Wer später fahren möchte, bezahlt mehr.

Wie viel verdienen Sie an dem Kunden, der pro Übernachtung weniger als 50 Euro zahlt?
Ich kenne die Kalkulation im Einzelfall nicht.

Gar nichts?
Spielen wir es durch. Wenn die letzte Kabine gefüllt wird, nehmen wir 490 Euro ein. Der Kunde kommt in Begleitung, also bekommen wir 980 Euro. Davon gehen die Vertriebskosten ab, bleiben etwa 850 Euro. Dazu kommen On-Board-Erlöse, zum Beispiel aus den Spezialitätenrestaurants, die nicht im Reisepreis enthalten sind. Nach zehn Tagen kommen wir auf 1300 Euro. Würden Sie das Geld nehmen oder die Kabine leer lassen? Der Kapitän wäre trotzdem da, das Unterhaltungsprogramm und der Treibstoff ebenso. Wir profitieren also.

Aber nur, wenn genügend Passagiere mehr bezahlen.
Was ja auch – in anderen Kabinenkategorien – der Fall ist.

Wäre es für Sie nicht besser, wenn alle Gäste mehr zahlen?
Kreuzfahrten sind heute für viele Menschen erschwinglich. Das sehen Sie auch daran, dass inzwischen viele junge Menschen und Familien mit Kindern Kreuzfahrten machen. Vor allem gemessen an dem, was Urlauber heute an Bord geboten bekommen, sind Kreuzfahrten preiswert. Früher gab es nur ein Restaurant. Dort wurden die Passagiere in Schichten durchgeschleust. Die Kabinen hatten – anders als heute – keine Balkone. Schiffe sind in den vergangenen zehn Jahren besser geworden, die Zehn-Tage-Reise ab Miami kostet immer noch das Gleiche. Aber ich glaube, dass im Laufe der nächsten Jahre die Preise steigen werden.

Wie steht es um die Umweltverträglichkeit der Schiffe? Die Organisation Nabu hat Aida zum „Dinosaurier des Jahres“ gekürt.
Aus meiner Sicht sind wir beim Umweltschutz schon sehr weit. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Biologische Kläranlagen an Bord vieler neuer Schiffe garantieren, dass das entsorgte Wasser nahezu Trinkwasserqualität erreicht; ein systematisches Abfallmanagementsystem stellt die Müllentsorgung nach höchsten Standards sicher. Einigen Umweltschützern geht es aber nicht um die Sache, sondern um Aufmerksamkeit. Ich bin Segler, mir ist es nicht egal, ob das Wasser und die Luft sauber sind. Unsere Schiffe können seit 2007 im Hafen Landstrom beziehen. Doch in ganz Europa gibt es keine entsprechende Steckdose für ein Schiff. Im Hotelbetrieb an Bord verbrauchen wir 30 Prozent weniger Energie pro Kopf als ein Privathaushalt. Klimatechnisch ist es besser, wenn Sie an Bord kommen, statt zu Hause zu bleiben.

Aber Sie fahren noch mit Schweröl, obwohl Sie zu Diesel wechseln könnten.
Das ist wirtschaftlich im Moment nicht leistbar bei den hohen Treibstoffpreisen, die die größte Kostenkomponente an Bord darstellen. Unsere Strategie ist es, den Verbrauch zu senken. Und bei Hafeneinfahrten fahren wir mit Destillaten.

Bald müssen Sie komplett umstellen. Werden Schiffsreisen deshalb teuer?
Das ist ein Grund. Die Weltschifffahrtsorganisation IMO hat uns einen klaren Fahrplan vorgelegt. Bis 2020 müssen wir unsere Schwefelemissionen deutlich senken. In deutschen Hoheitsgewässern dürfen Kreuzfahrtschiffe schon 2015 nicht mehr mit dem Schweröl fahren.

Wo sehen Sie den deutschen Kreuzfahrtmarkt 2020?
Die etablierten Anbieter werden sich weiterentwickeln. Und ich erwarte, dass die Zahl der Passagiere mit 2,5 bis 3 Millionen etwa doppelt so groß sein wird wie heute.

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