Männchen mit Charakter und Geschichte

F.A.Z. vom 2. Februar 2015. Spielzeughersteller ersinnen immer mehr moderne Märchen rund um die Helden für das Kinderzimmer.

Agent Gene ist so etwas wie der James Bond für das Kinderzimmer. Wunderwaffen liefert ihm nicht die Entwicklerlegende „Q“ aus den Filmen um Nummer 007. Gene tüftelt sie selbst aus. Und wenn er am Steuer seines Techno Chamäleon durch die Welten reist, nimmt er noch drei Freunde mit. Gemeinsam sind sie die „Super 4“. Mit Gene, Piratin Ruby, Fee Twinkle und Prinz Alex wird der Playmobil-Figurenhersteller Geobra Brandstätter nun auch zum Geschichtenerzähler. Und er ist damit nicht allein: Immer weniger Spielzeugproduzenten bescheiden sich damit, bloß Bausätze oder ein paar Männchen auszuliefern. Die Branche verkauft auf der Spielwarenmesse, die am heutigen Montag zu Ende geht, nicht mehr bloß Gegenstände, sondern auch Erzählungen.

Die Playmobil-Macher aus dem fränkischen Zirndorf zählten bislang nicht zu den Märchenerzählern. Mit den „Super“-Typen springen sie nun aber auf den Trend auf. Im April gibt es sogar eine Fernsehpremiere in Playmobil-Optik. Das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 600 Millionen Euro – nach Verkaufszahlen die Nummer drei in Deutschland hinter Lego und Mattel – fertigt das Spielzeug dazu. „Zum ersten Mal setzen wir die Welt einer Fernsehserie im Format unseres beliebten Spielsystems um“, sagt eine Sprecherin. 52 Folgen lang verteidigen die Figuren einen goldenen Teekessel im Kindersender Disney Channel. Im Ausland gelangt die Reihe auch in das Online-Videoportal Netflix, für die Bundesrepublik hält der Disneykanal die Internetrechte. Für Playmobil ist die Reihe ein Meilenstein, für die sich das Unternehmen sogar eine neue Figurenform leistet. Gene, Ruby und ihre Freunde sind mit sieben Zentimetern Körpergröße fünf Millimeter kleiner als das vor 40 Jahren entworfene Standardmännchen des Unternehmens. „Wir wollten bewusst Figuren entwickeln, die als Jugendliche erscheinen“, erklärt die Sprecherin. Bislang gab es von Playmobil lediglich Erwachsene und Kleinkinder.

Kritiker befürchten, dass detaillierte Erzählungen zum Spielzeug in Kinderzimmern zur programmierten Einfallslosigkeit führen. Wer über Charakter und Verhalten seiner Spielfiguren schon alles gesagt bekomme, müsse sich keine Gedanken mehr machen. Die Phantasie bleibe vor der Spielzimmertür. Ein Szenario, das aus Sicht von Stephan Tahy, dem Deutschland-Chef des Mattel-Konzerns, eher theoretisch ist und mit dem Alltag von Mädchen und Jungen nichts zu tun hat. Auch der Barbie-Hersteller will stärker mit Erzählungen rund um seine Puppen punkten. „Geschichten sind eine Projektionsfläche. Jedes Kind wandelt die Geschichte sowieso für sich ab“, ist er überzeugt. Er selbst mochte als Kind Western, sah sich im Fernsehen die Serien „Bonanza“ und „Die Leute von der Shiloh Ranch“ an. Danach habe er stundenlang mit Cowboyfiguren das Geschehen nachgespielt und eigene Episoden ersonnen. „Das Nachspielen von Situationen, die man selbst erlebt hat, ist ein elementares Bedürfnis von Kindern“, sagt Tahy. Und nach seiner Vorstellung soll ihnen natürlich Barbie dabei helfen. „Dieses Jahr wird für uns ein Barbie-Jahr“, sagt er. Dabei hatte die bekannteste Figur des Hauses zuletzt ein Formtief, das im Konzern zum Umsatz- und Gewinnrückgang sowie zum Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Bryan Stockton beitrug. In Amerika zog in der Beliebtheit sogar Disneys „Eiskönigin“ an der scheinbar ewigen Lieblingspuppe vorbei. 2015 soll Barbie als „Superprinzessin“ erstarken. Dafür wurde das Märchen von Prinzessin Kara ersonnen, die von einem Schmetterling geküsst große Kräfte erlangt.

Spielzeug zu Kinoerfolgen, deren Geschichten Buch- und Filmautoren ersannen, gibt es seit langem. Lego liefert seit 19 Jahren Bausets zu Star-Wars-Raumschiffen. Nun bringt die Spielfigur ihre Historie selbst mit – das gilt auch bei Simba-Dickie. Bislang hatte man sich dort an bestehende Erzählungen angehängt und allerlei Spielereien dazu produziert. Die Geschichte der neuen „Safira“-Drachen, die zwischen Wäldern und Vulkanen des Märchenlandes Tarakona leben, wurde von Mitarbeitern in der Fürther Unternehmenszentrale geschrieben. Dabei lernten sie, dass es für Erzählungen besser ist, wenn Drachen ganz menschlich auf zwei Beinen laufen, statt als Vierbeiner durchs Märchenland zu hoppeln. Statt die Drachen nun eilig in den Markt zu pressen, setzt Simba auf eine langfristige Entwicklung von deren Geschichte. „Langfristig“ ist ohnehin ein Wort, das deutsche Eltern allen Marktforschungserkenntnissen zufolge sehr gern hören. Das Spielzeug zum Kinofilm, das nach vier Monaten in der Ecke und schließlich im Müll landet, ist hierzulande unbeliebt. Im Idealfall profitiert aber auch der Konzern. Je langlebiger eine Geschichte ist, desto mehr Zusatzprodukte vom Fan-Magazin über Bekleidung bis zu Sportartikeln lassen sich absetzen. Während bei Hasbro das klassische Spielwarengeschäft in Deutschland zuletzt leicht schrumpfte, wuchs das Lizenzgeschäft mit Zusatzartikeln um ein Drittel. In der wirtschaftlichen Bedeutung liegen die beiden Segmente nach Pfitzners Worten mittlerweile gleichauf. Trotzdem ist eine Geschichte längst kein universaler Erfolgsgarant. „Jungen mögen eher den Kampf Gut gegen Böse, für Mädchen stehen Alltagshelden im Mittelpunkt“, sagt Mattel-Manager Tahy. Playmobil hat vorsorglich seine „Super 4“ aus zwei weiblichen und zwei männlichen Charakteren rekrutiert. Dass eine Geschichte nicht nur Kinder fesseln, sondern auch einen Konzern binden kann, bekam Lego zu spüren. Die Suche der Dänen nach Innovationen ging ihren Anhängern zu schnell. Die Ninjas von Ninjago müssen sich deshalb weiter gegen die Mächte des geheimnisvollen Overlords wehren. Die Kinder wollten mehr von dieser Geschichte.

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