Warum der Lokalteil so schlecht ist

Fast jeder Student, der später “mal was mit Journalismus machen” möchte, bekommt den Rat mit auf den Weg: Fang mal mit einem Praktikum im Lokalen an. Doch in dem oft als künftiges Standbein des Printjournalismus gepriesenen Ressort, liegt vieles im Argen.

“Wenn Deine Recherche noch nicht abgeschlossen ist, dann geh zu Deinem Chef und sage ihm, dass Du noch einen halben Tag benötigst” – ein Ratschlag eines Redakteurs einer überregionalen Tageszeitung, der mit Sicherheit der Qualität des später Veröffentlichten zuträglich ist. Und ein Ratschlag eines Medienschaffenden, der vielen Kollegen in seiner Branche schlicht weltfremd erscheint. Der engagierte Rechercheur bekomt es mit dem Hauptproblem des Lokaljournalismus zu tun, wenn er diesem Tipp folgt: Zeitmangel.

Redaktionsschluss ist abends. Gar nicht so selten, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine komplette Zeitungsseite von einer Person allein gefüllt sein muss. Eine Seite, das heißt einen Hauptartikel – Aufmacher genannt -, etwa zwei weitere kleinere Artikel und meist zusätzlich eine Meldungsspalte, die vom Kopf bis zum Fuß der Seite reicht. Naja, der Mensch in der Redaktion hat ja den ganzen Tag Zeit, das zu schreiben…. Nein, vor dem Schreiben steht das Themen suchen, finden und auswählen, das Recherchieren, das Telefonieren, oft das Fotografieren, das Layouten der Seite und das Gesprächspartner, Pressetermine und so weiter besuchen.

Vor allem letzteres ist zeitaufwändig. Die Gesprächspartner wollen “etwas aus dem Ort” – also sich selbst – in der Zeitung sehen. Die Lokalzeitung will das auch, schließlich ist das Berichten aus der Region ihre Stärke, die sie vom riesigen Agenturbrei unterscheidet, der sich auf den Politik-, Wirtschafts- und Sportseiten findet. Die Gesprächspartner wollen sich die Beachtung holen, indem sie viel erzählen, viel zeigen, viel mit auf dem Rückweg an den Schreibtisch geben. Dort wieder zurück, bleiben dem Journalisten oft nur noch drei Stunden … um die gesamte Seite zu füllen. Mit eigenen Texten, denn dpa war nicht auf der Besucherbank des Gemeinderats von Musterdorf.

Drei Texte in drei Stunden und noch einen Stapel Kurzmeldungen – eine Lokalzeitung könnte sich Egon-Erwin-Kisch- und Theodor-Wolff-Preisträger in die Redaktion holen, wirklich gut würde das Produkt nie. Und das ist das Unverständliche, da gerade die Berichterstattung von vor Ort doch die Stärke sein soll, die zugleich den Bestand des Blattes sichert, denn bei Überregionalem sind Tagesschau, Inforadio, Spiegel Online & Co. ohnehin spezialisierter, besser und vor allem schneller.

Politik im Großen = großartiger Journalismus, dasselbe im Kleinen = kleingeistiges Geschreibsel. Diesen Eindruck bekommt der gebildete Leser eines Heimatblatts. Doch das müsste nicht so sein. Das Problem ist hausgemacht. Der Gemeinderat von Musterdorf hat über die Neuansiedlung eines Einkaufszentrums debattiert. Die Minderheitsfraktion hat der Mehrheitsfraktion Kungelei mit dem Investor vorgeworfen, der Baugrund soll einem Parteimitglied gehört haben, Anwohner haben Einwände gegen den Bebauungsplan eingereicht, drohen mit Klagen wegen Abwägungsfehlern und Verstößen gegen Vorschriften des Baugesetzbuchs.

Viele Vorwürfe, die schlicht hingeschrieben – trotz Quellenangabe – schnell Gegendarstellungen, Unterlassungsforderungen – nach sich ziehen. Wenn gehörte der Grund tatsächlich, wer profitiert tatsächlich vom stark gestiegenen Quadratmeterpreis (vorher: billiges Grünland, nun: lukratives Bauland), nachdem der Grund in nicht-öffentlicher Sitzung den Eigentümer gewechselt hat. Welcher Politiker des Ortes ist Eigner der GmbH, die an jener Planungsfirma Anteile hält, derer Tochterbetrieb nun den dörflichen Einkaufspark errichtet? Und was ist mit den Anwohnern? Nervende Querulanten oder wache Bürger, die genau die Vorgaben der TA Lärm gelesen haben?

In einer oder zwei Stunden wird der Lokaljournalist diese Fragen nicht beantwortet bekommen. Mehr Zeit hat er aber nicht. Also: alles Heikle weglassen, die Nachricht ist doch sowieso, dass nun gebaut werden darf. Daneben schnell das Kindergartenfest gesetzt (süße Fotos mit lachenden Kleinen, war auch keine Recherche nötig, sondern bloß ein Besuch in der Einrichtung) – so sieht oft der Alltag des Lokaljournalisten aus.

Wenn regionale Titel bestehen wollen, ist ein Umdenken nötig. Sonst sinken die Abonnentenzahlen weiter, davor und danach verringern sich aus die Werbeeinnahmen, es muss weiter gespart werden. Erst bekommt der Redakteur noch mehr Arbeit auf den Tisch, die er noch schlechter erledigt, und letztlich stirbt ein Titel, die Konzentration im regionalen Zeitungsmarkt setzt sich fort, und die Leser haben noch weniger Gründe, eine Zeitung zu kaufen, wenn das Blatt aus der Region alles mögliche veröffentlicht, nur nichts sauber Recherchiertes aus der Region.

Dieser Betrag erschien zuerst im Blog Vanity Care.

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