Das Tor zu einem Teil der Welt

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Januar 2011

Alt sieht er nicht aus und kommt dennoch auf 100 Jahre. Kein anderer deutscher Flughafen besteht länger an seinem Gründungsort. Fernflüge ab Hamburg gibt es aber nur wenige.

Der Hamburger Flughafen hat pünktlich zum Jubiläumsjahr seine Modernisierungskur abgeschlossen und feiert sich im vom Star-Architekten Meinhart von Gerkan entworfenen Gewand aus viel Glas, Stahl und Beton als ältester Flughafen der Welt. Doch das stimmt nur bedingt. Auf einem längst stillgelegten Platz in Berlin-Johannisthal hoben schon eher Luftschiffe ab. Hamburg-Fuhlsbüttel ist aber immerhin der Flughafen, der am längsten an seinem aktuellen Ort besteht.

Und daran soll sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Geschäftsführer Michael Eggenschwiler prophezeit dem von Wohnhäusern eingerahmten Areal eine sichere Zukunft. Im Jahr 2010 wurden rund 13 Millionen Passagiere abgefertigt, für das begonnene Jahr rechnet Eggenschwiler mit einem Anstieg auf Rekordniveau – ohne dass es eng werden soll. “Die Kapazitäten reichen für die nächsten zehn, zwanzig Jahre”, sagt er. Schließlich haben die Gesellschafter – der Flughafen gehört zu 51 Prozent der Stadt und zu 49 Prozent dem Baukonzern Hochtief – viel investiert.

356 Millionen Euro kostete das Programm “HAM 21″. Von Gerkan entwarf drei Hallen mit geschwungenen Dächern, die an überdimensionale Tragflächen erinnern sollen. Dazu kamen Parkhäuser, ein Hotel und eine Hunderte Meter lange Passagier-Pier. Das Abfluggebäude aus dem Jahr 1929, das trotz Renovierungen seine miefig-gestrige Atmosphäre nicht loswurde, musste weichen. Obwohl der Flughafen mitten im Stadtgebiet liegt, mussten Hamburg-Besucher auf dem Weg ins Zentrum noch vor drei Jahren mit einem Vorortbus zur nächsten S-Bahn-Station schaukeln. Nun fahren die Züge bis in den Keller der Terminals.

Am 10. Januar 1911 hatte eine Runde hanseatischer Kaufleute entschieden, auf den feuchten Fuhlsbütteler Wiesen einen Start- und Landeplatz zu schaffen. Mit Luftschiffen kannten sie sich wenig aus, Frachter auf hoher See waren ihr Metier. Dennoch waren die Herren – darunter Reeder wie Albert Ballin, der aus der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) die zur Jahrhundertwende weltgrößte Schifffahrtsgesellschaft formte – begeistert von der Idee vom Fliegen. Entfacht hatte diese Euphorie Graf Ferdinand von Zeppelin. In einer wie es heißt “mitreißenden Rede” hatte er vor den Kaufleuten von der Zukunft seiner Zeppeline geschwärmt. Die Hanseaten sammelten darauf bei wohlhabenden Hamburgern 685 000 Reichsmark ein, das Startkapital für die Hamburger Luftschiffhallen-Gesellschaft.

Dennoch waren es nicht die Luftschiffe des Grafen, die dem Flughafen zum Durchbruch verhalfen. 1919 nahm die Deutsche Luftreederei, ein Vorläufer der Lufthansa, mit Doppeldeckerflugzeugen den Linienverkehr nach Berlin auf. Vom Komfort heutiger Flugreisen bekamen die Passagiere allerdings nicht einmal eine Ahnung. Sie saßen in den Maschinen im Freien, mit Fliegerkappe, Brille und Schal gegen Sturm und Regen geschützt. 233 Passagiere nutzten 1920 das windige Angebot ab Fuhlsbüttel. Zum zweiten Tor zur Welt – neben dem Hafen – wurde Fuhlsbüttel im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. New York, Nairobi, Buenos Aires und Hongkong kamen als Ziele auf den Flugplan.

Als vor 30 Jahren die Passagierzahl auf mehr als 5 Millionen im Jahr stieg, reiften Pläne, den Hamburger Flughafen wie den Münchener und zurzeit den Berliner jenseits der Stadtgrenze neu zu bauen. Der Umzug in die Holsteiner Heide westlich von Kaltenkirchen scheiterte aber an der unklaren Finanzierung und an Bürgerprotesten. Nicht alle sehen das Vorhaben auf ewig beerdigt. Bis heute hält der Flughafen Ländereien. Das regierende CDU-FDP-Bündnis in Schleswig-Holstein schrieb in seinen Koalitionsvertrag, den Standort Kaltenkirchen zu “überprüfen”.

Denn ein Manko konnte “HAM 21″ dem alten Standort nicht nehmen. In Fuhlsbüttel wird auf zwei Bahnen gestartet und gelandet, die sich ungünstigerweise in der Mitte kreuzen. Eggenschwiler sieht aber keine Eile, das Hamburger Luftfahrtkreuz schnell gegen parallele Pisten zu tauschen. “Der Trend geht zu größeren Flugzeugen und zu einer höheren Flugauslastung”, sagt er. Für den A380 ist das Gelände in Fuhlsbüttel groß genug. Allerdings lässt bislang keine Gesellschaft den Doppelstock-Airbus dort landen oder abheben.

Überhaupt ist der Flughafen, der zuletzt mit dem deutschlandweit ersten Testeinsatz von Körperscannern Schlagzeilen machte, zwischenzeitlich im Interkontinentalverkehr ins Hintertreffen geraten. Das Angebot an Langstreckenflügen unter den 115 direkt angeflogenen Zielen ist übersichtlich – Dubai, Toronto, New York, das ist es im Wesentlichen. Am häufigsten starten Maschinen zu den Drehkreuzen Frankfurt, München und London. Auch die Urlauberinsel Mallorca rangiert bei den am häufigsten nachgefragten Verbindungen weit vorne. Auf diesen Strecken muss Flughafen-Chef Eggenschwiler kaum regionale Konkurrenz fürchten. Der Verkehr an dem zwischenzeitlich als Entlastung für Hamburg gepriesenen Flughafen im 60 Kilometer entfernten Lübeck schrumpft, seit der Billigflieger Ryanair dort sein Angebot ausgedünnt hat.

Eggenschwiler verspricht Wachstum – auch im Interkontinentalverkehr. “Wir sind am Ball”, sagt er. Weitere Strecken nach Nordamerika seien möglich. “Der Markt wäre da”, ist er überzeugt. Auch eine Verbindung nach Schanghai sehe er als lukrativ an. Er führe Gespräche mit mehreren Gesellschaften. Doch Hamburg ist nur die Nummer fünf unter Deutschlands Flughäfen. Für Langstreckenflüge bevorzugen die Luftverkehrsunternehmen Frankfurt oder München. Dass Lufthansa bald von Hamburg gen Fernost abhebt, bezeichnet er deshalb als “fraglich”.

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