Lange Rückreise zur Normalität

F.A.Z. vom 4. Juli 2020 Die Deutsche Lufthansa fliegt mit Staatshilfe weiter. Doch zum Schuldenabbau nach der Pandemie werden auch Verkäufe von Unternehmensteilen nötig. Verkehrsprognosen, Personalabbau und ein Großaktionär bleiben große Risikothemen.

Als intensiver Nachrichtenleser ist Carsten Spohr bekannt. Seit er auch in den Aufsichtsrat der Münchner Rück eingezogen ist, hat er täglich Artikelsammlungen zu zwei Konzernen auf dem Tisch – und ist um eine Erkenntnis reicher: Für den Rückversicherer erhält er oft eine einstellige Zahl an Seiten, zur Lufthansa waren es zuletzt mehr als 100 Blätter am Tag. Lufthansa steht wegen des 9-Milliarden-Euro-Rettungspakets besonders in der Aufmerksamkeit.

Daran wird sich wohl vorerst wenig ändern, obwohl Aktionäre das Paket samt Staatseinstieg mit 20 Prozent gebilligt haben. Nun beginnt eine neue Ära, die aber kaum ruhiger wird. Der Vollzug der Kapitalerhöhung mit neuen Aktien für den Bund steht unmittelbar bevor. Verträge für einen KfW-Kredit von bis zu 3 Milliarden Euro seien unter Dach und Fach, heißt es. Das Darlehen soll wohl schnell gezogen werden. Lufthansa verbrannte in der tiefsten Krise 800 Millionen Euro im Monat, Rückzahlungen an Kunden für ausgefallene Flüge, die sich noch auf mindestens eine Milliarde Euro summieren, stehen aus und sollen nun schnell abgearbeitet werden.

Zum großen Kostenblock entwickeln sich die Folgen der stillen Einlage des Bundes von 5,7 Milliarden Euro. Sie ist mit einem steigenden Zinssatz von zunächst 4 Prozent belegt, für die ersten zwölf Monate werden mehr als 220 Millionen Euro Zinsen fällig. 2023 soll der Satz laut Rahmenvereinbarung von Konzern und Bund 6 Prozent erreichen. 2027 würden es 9,5 Prozent.

Dazu will es der Konzern nicht kommen lassen und schnell die Einlage zurückführen. Um das bis Ende 2023 hinzubekommen, wären für Zins und Tilgung wohl rund 2 Milliarden Euro im Jahr nötig. Doch das KfW-Darlehen, das mit 3 Prozent niedriger verzinst ist, muss zuerst zurückgeführt werden. Schätzungen zufolge werden bis zu 12 Milliarden Euro über die nächsten Jahre zusätzlich nötig sein, um die Hilfen abzulösen. So viel Geld wird Lufthansa nicht durch Ticketverkäufe und Einsparungen beim Personal zusammenbekommen.

Intern gilt als sicher, dass man sich von Konzernteilen trennen muss. Der Geschäftsreisedienstleister Airplus ist ein Kandidat. Einen Komplettverkauf der Lufthansa Technik hatte Spohr in der Vergangenheit ausgeschlossen. Eine Teilveräußerung – eventuell mit Börsengang – ist aber möglich. Schon vor der Corona-Krise wurde die Trennung vom Caterer LSG eingeleitet, der Verkauf des Europa-Teils an den Konkurrenten Gategroup war besiegelt, der Vollzug stockt. Für den zweiten Teil war man auch auf Käufersuche, die sich nun schwieriger gestaltet.

Ein schwieriges Thema sind auch die Personalkosten. Lufthansa hat nach eigenen Angaben rechnerisch 22 000 Vollzeitstellen zu viel, Teilzeit, Vorruhestand und Abfindungen sollen Kündigungen vermeiden, können sie aber nicht ausschließen. Bislang hat sich Lufthansa nur mit der Flugbegleitergewerkschaft Ufo auf Einschnitte geeignet. Mit der Vereinigung Cockpit (VC) der Piloten gibt es noch keinen Abschluss, obwohl die zu Zugeständnissen von 850 Millionen Euro bis 2022 bereit ist.

Knackpunkt ist aber weniger das Geld, es sind strukturelle Fragen. Die VC lehnt es ab, „die geltenden Tarifbedingungen durch den Aufbau neuer Plattformen zu unterminieren“. „Project Ocean“ ist ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang hinter den Kulissen fällt. Es steht für ein Konzept, um günstige Eurowings-Fernflüge vom Sorgenkind zum Ertragsbringer zu wandeln. Bislang saßen in den Cockpits Piloten der Beteiligung Sun Express Deutschland, die nicht dem Konzerntarif unterliegen. Die wird aber geschlossen.

Für die Langstreckenpiloten hegt der Konzern die Absicht, ihnen im „Project Ocean“ neue Stellen zu schaffen – außerhalb des Konzerntarifs. Besonders schwierig scheinen die Gespräche mit Verdi für das Bodenpersonal. Man habe erst diskutieren müssen, ob man in einer Krise sei, heißt es im Konzern. Christine Behle, stellvertretende Verdi-Chefin, beklagt, „Angst, Unruhe und Empörung“ machten sich breit, „weil Unternehmen, denen staatliche Hilfen in Milliardenhöhe gewährt werden, im selben Atemzug Beschäftigungsabbau und Gehaltskürzungen ankündigen.“

Analyst Daniel Röska von Bernstein Research sieht aber den Zwang zu harten Entscheidungen, um Schulden und Staatshilfen zurückzahlen zu können. Unklar ist auch, was Großaktionär Heinz Hermann Thiele vorhat. Das Hilfspaket hat er nicht aufgehalten, er strebe auch „derzeit keine Einflussnahme auf die Besetzung von Verwaltungs-, Leitungs-, und/oder Aufsichtsorganen“ an, teilte er dem Konzern mit. Doch er hält sich eine Hintertür offen, künftig könne das anders sein.

Ein Umbau im Aufsichtsrat ist dennoch nötig. Für den Bund sollen zwei Vertreter einziehen, dafür müssen zwei andere Platz machen. Noch ist offen, wer das sein wird. Aktuell ist man im Konzern bemüht, das Bild einer einsetzenden Erholung zu verbreiten. Dazu gehört die Ankündigung, dass bis Oktober wieder die Hälfte der Flotte abheben soll. Doch die Jets werden vorerst weniger unterwegs sein – mangels Nachfrage.

Stefan Schulte, Chef des Frankfurter Flughafens, prognostizierte schon: „20 bis 30 Prozent des Geschäftsreisesegments werden wohl mittelfristig nicht wiederkommen.“ Für den Flughafen möchte er Kurzarbeit bis Mitte 2022 verlängern. Der Flughafenverband ADV fordert das für alle Flughäfen, andernfalls würden „mehrere 10 000 Beschäftigte auf der Kippe stehen“. Angesichts dessen blicken Analysten skeptisch auf Lufthansa. Mit der Billigung des Hilfspakets sei das Insolvenzrisiko zunächst beseitigt, es blieben aber große Herausforderungen, urteilt die DZ Bank. Von Independent Research heißt es: Die Aktionäre hätten sich für das kleinere Übel im Vergleich zu einem Schutzschirmverfahren entschieden. Das Unternehmen sei aber nicht über den Berg.

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