Flusskreuzfahrer schippern aus der Nische

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. April Geht es nach den Reiseveranstaltern, sollen Urlaube auf Rhein, Main und Donau ähnlich beliebt werden wie Hochseefahrten. Flussreisende sind bereit, mehr für diesen Urlaub auszugeben. Deshalb stockt die Branche ihre Flussflotten auf.

FRANKFURT, 17. April. Ein Knall, dann spritzt Champagner auf das Frankfurter Mainufer. Krachend zerschellt die grüne Glasflasche am hellblau lackierten Bug, Bau Nummer 487 der Stralsunder P+S-Werft heißt fortan Allegra und schippert im Dienst des Reisekonzerns TUI Passagiere über Rhein, Main und Donau. Waren Schiffstaufen vor dem Panorama der Bankentürme Frankfurts bislang selten, ist die TUI Allegra doch schon der zweite Dampfer, der im April am Mainufer seiner Bestimmung übergeben wurde – vorher hatte schon der Rostocker Konkurrent Arosa in Frankfurt seine Flotte um die Arosa Brava ergänzt.

Die Branche ist in Champagnerlaune. Die Anbieter von Flussreisen sehen ihre Chance gekommen, auf der Erfolgswelle der Traumschiffe und Hochseedampfer mitzuschwimmen. Sie wollen auf Flussläufen zwischen Basel und Amsterdam, zwischen Passau und Wien, zwischen Frankfurt und Bamberg den Boom kopieren, den Touristiker seit einigen Jahren im Mittelmeer, auf der Ostsee und in der Karibik erleben. “Urlaub auf dem Fluss stand lange zu Unrecht im Schatten”, ist TUI-Kreuzfahrtfachmann Andreas Casdorff überzeugt und setzt sich mit seinem Wachstumsprogramm an die Spitze der expandierenden Anbieter. Europas größte Reisekonzern vervielfacht binnen eines Jahres seine Flussflotte von einem auf sechs Schiffe. Insgesamt kommen zu den branchenweit 164 Schiffen, die durch einsame Landstriche und historische Städte kreuzen, im laufenden Jahr 13 feudale Kähne dazu – nachdem bereits im vergangenen Jahr zehn Neubauten für mehr Verkehr auf Europas Flüssen sorgten.

“Das ist eine ganze Menge”, räumt Casdorff ein. Vor einem Überangebot fürchtet er sich dennoch nicht. Marktforscher hätten herausgefunden, dass sich mehrere Millionen Bürger eine Kreuzfahrt durch Flusstäler und -schleifen vorstellen können. 2010 hatten nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes 430 000 deutsche Urlauber eine Flussreise gebucht – dreimal so viele wie noch zur Jahrtausendwende. Angesichts von insgesamt 75,6 MIllionen verkauften Reisen, ist das aber immer noch wenig. Doch die Touristikbranche scheint entschlossen, den Urlaub auf Binnengewässern aus der Nische zu holen. “Der Markt ist noch sehr unterentwickelt und bietet viele Wachstumschancen”, ist Casdorff überzeugt. “Viele Reisebüros haben Flusskreuzfahrten bislang nicht in ihre Beratungen aufgenommen.” TUI hat noch freie Kabinen. Während die Zahl der Betten in der Flussflotte des Konzerns auf das Sechsfache steigt, ist die Zahl der Buchungen etwas langsamer gewachsen.

Bei Nicko Tours in Stuttgart – mit 28 Schiffen deutscher Marktführer für Flusskreuzfahrten – lässt man sich durch das vom Konkurrenten aus Hannover vorangetriebene Expansionsprogramm nicht aus der Ruhe bringen. “Einen Verdrängungswettkampf auf den Flüssen gibt es nicht”, sagt Unternehmensinhaber Ekkehard Beller. Er hat seinen großen Wachstumsschritt schon hinter sich, 2010 stockte Nicko Tours die Flotte um sieben Flusskreuzer auf. “Wir liegen mit unseren Buchungszahlen aktuell 30 Prozent über dem Vorjahresniveau”, sagt Beller. Zudem seien Flussreisende 2011 abermals bereit, für ihren Urlaub mehr auszugeben als im Vorjahr. “Wir erzielen höhere Durchschnittserlöse, während die Einnahmen pro Passagier auf Hochseekreuzfahrten zurückgegangen sind”, sagt Beller.

Zahlen des Reiseverbands bestätigen das. Passagiere auf Hochseefahrten zahlten nach einer Kreuzfahrtstudie des Verbands 2010 im Durchschnitt 1696 Euro für ihren Urlaub, das waren 185 Euro weniger als ein Jahr zuvor. Auf den Flüssen stiegen die Einnahmen hingegen. 1090 Euro bezahlte der Durchschnittsurlauber für einen Törn auf Rhein, Main oder Donau – ein Plus von 20 Euro gegenüber dem Vorjahr, obwohl die durchschnittliche Verweildauer auf einem Schiff um 0,6 Tage sank. Im laufenden Jahr dürfte die Passagierzahlen auf den deutschen Flüssen zudem auch deshalb steigen, weil Urlauber Fahrten auf dem Nil scheuen. Zuletzt belegte der Strom in Ägypten hinter Donau und Rhein Platz drei in der Rangfolge.

Zum Optimismus der Branche passt indes nicht, dass vor zwei Jahren gleich zwei Anbieter strandeten. Die Insolvenzen der Deilmann-Flussschiffreederei und des Bremer Unternehmens Transocean Tours gelten bei Branchenbeobachtern jedoch nicht als Warnsignal. Der Münchner Fondsanbieter Premicon, der 26 Flusskreuzfahrer – darunter alle TUI-Schiffe – finanziert, schreibt unverhohlen in seinem Jahresprospekt: Die Entwicklung der Branche zeige deutlich, “dass die Gründe für das Ausscheiden aus dem Markt nicht im Markt an sich, sondern innerhalb der Unternehmen zu suchen sind.” Und die Konkurrenz nutzte die Chance. Nicko Tours übernahm einen Großteil der Deilmann-Flotte, TUI sicherte sich den Zugriff auf Schiffe von Transocean – inklusive Neubauten, die ursprünglich an das Bremer Unternehmen gehen sollten. Dadurch blieb trotz der beiden Insolvenzen kein Flussdampfer ohne Beschäftigung zurück.

Mancher Beobachter fürchtet jedoch, dass die Branche nicht noch einmal so glimpflich davon kommt. Vor allem im gehobenen Segment mit Vier- bis Fünf-Sterne-Schiffen könnte es eng werden, weil alle Neubauten des laufenden und des vergangenen Jahres zu dieser Klasse gehören. Schon werden erste schwimmende Quartiere mit Vollverpflegung für kaum mehr als 100 Euro pro Tag angeboten – ein Preis, der bislang in der Drei-Sterne-Kategorie als üblich galt.

Wenig dürfte sich trotz aller Wachstumsanstrengungen an der Altersstruktur an Bord ändern. Zwei Drittel der Passagiere im Jahr 2010 waren nach Angaben des Reiseverband älter als 55 Jahre. Nur etwa jeder Zehnte hatte das 40. Lebensjahr noch nicht erreicht. Offenbar sagt jüngeren Urlaubern das stärker strukturierte Konzept von Flusstouren mit festen Fahrtzeiten, Landgangsterminen und Gastronomiekonzepten weniger zu. Und die demographische Entwicklung mit einem wachsenden Anteil Älterer spielt den Veranstaltern zu. Beller formuliert es so: “Wir lieben die Generation 60 plus.”

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