Nicht Reiseverkäufer, sondern Freizeitgestalter

F.A.Z. vom 21. Dezember 2015 Reisebüros rüsten sich gegen die Konkurrenz aus dem Netz. Beim Marktführer DER hat sich mehr verändert als die Einrichtung, der Kunde ist anspruchsvoller geworden. Neue Technik soll helfen.

Wenn es um Urlaub geht, dann sind auch Möbel wichtig. An welchen Tischhöhen und auf welchen Sitzpolstern die Ferien am liebsten geplant werden, darüber hat Andreas Heimann viel zu erzählen. Jüngere Kunden wollten sich zum Beispiel beim ersten Reisebürobesuch oft gar nicht hinsetzen, Stehplätze am Bartresen seien für sie passender. Und der querstehende Schreibtisch mit leicht wippenden Metallstühlen davor weckt auch nur wenig Reiselust.

Heimann ist Verantwortlicher für die DER-Reisebüros. Täglich geht es dort um Urlaub, zuletzt ging es aber sehr oft auch um Tische und Stühle, um Regale und Lampen. „Wir haben unser Erscheinungsbild komplett verändert. Wir brauchten eine neue Ergonomie in den Räumen und ein ganz anderes Lichtkonzept“, sagt er.

Einem bald hundert Jahre alten Geschäft soll mehr Leben eingehaucht werden. Seit Urlaubsportale im Internet Ferientouren im Milliardenwert verkaufen, sinkt die Zahl der deutschen Reisebüros. Einst gab es rund 15 000, aktuell sind es weniger als 10 000. DER ist die Traditionsmarke darunter. Sie steht für Deutsches Reisebüro – gegründet 1917 vom Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie. Heute ist sie Teil der Rewe-Handelsgruppe. Heimann ist ihr Chef und ihr Renovierungsbeauftragter.

„Manche Reisebüros strahlten in der Vergangenheit den Charme der siebziger Jahre aus. Die waren dunkel eingerichtet, man konnte von außen kaum erkennen, ob die geöffnet haben“, sagt Heimann. 500 DER-Filialen ließ er herausputzen. 300 Reisebüros bekamen einen Komplettumbau. „Wir haben einen Ladeneinrichter beauftragt, der sich sonst um die Gestaltung verschiedener Retail-Konzepte, unter anderem von Modeboutiquen, kümmert.“ Der sorgte für mehr Licht, hellere Böden und viele Elemente in Rot und Weiß, den neuen Unternehmensfarben. „Alles ist viel loungiger geworden. Am Eingang haben wir nun einen Tresen, nicht jeder Besucher möchte sich gleich für ein Gespräch hinsetzen.“

Mit den ebenfalls aufgefrischten mehr als 1500 Büros von Franchisenehmern und Kooperationspartnern bildet der DER-Verbund das umsatzstärkste deutsche Reisebüronetz, das im Jahr 2014 für mehr als 4 Milliarden Euro Reisen verkauft. 2015 sollen die Erlöse weiter gestiegen sein. Für Heimann ist das der Beleg, dass sich auch eine neue Einrichtung positiv auswirkt. Und mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Thomas Cook hat ebenfalls ein Zukunftskonzept für Reisebüros entwickelt, TUI lässt Filialen zu Marken-Stores umbauen.

Die großen Urlaubsproduzenten halten zu den Reisebüros. Denn die Vermittlung von Reisen über Geschäfte in Fußgängerzonen, Einkaufszentren oder Läden an der Straßenecke ist für sie mitunter günstiger als der Absatz im Internet. Dabei wird Reisebüros der Verkauf mit einer Provision von 10 Prozent oder mehr des Reisepreises vergütet. Online muss schon die Aufmerksamkeit eines Kunden erkauft werden. Neue Marketingwährung ist dort die Bezahlung für jeden Klick auf einen Link zu einem Angebot – auch wenn nur jeder 100. zu einer Buchung führt. Auf Reisebüros möchte daher kein Reiseveranstalter verzichten. Einzige Gefahr bliebe, dass der Endkunde das anders sieht.

Dieses Risiko sieht Heimann nicht: „Der Kunde hat seine Erfahrungen mit der großen Auswahl und auch der Unübersichtlichkeit im Internet gemacht. Er schätzt deshalb die persönliche Beratung.“ Und er baut darauf, dass Urlauber, die einmal zufrieden mit einer Beratung waren, wiederkommen. „Die Kundenbindung zu einem Reisebüro ist stärker als die zu einem Online-Portal“, sagt er. Jüngst meldete der Deutsche Reiseverband, dass die Zahl der Reisebüros nicht mehr sinke. Die verbleibenen Stellen nehmen von Jahr zu Jahr mehr ein – 2015 voraussichtlich den Rekordwert von fast 24 Milliarden Euro.

Deutschland ist weiter der Sonnenstaat für Reisebüros, in keinem anderen Land gibt es, bezogen auf die Einwohnerzahl, so viele. Doch auch das kann nicht überdecken, dass der Verkauf von Reisen im Umbruch ist. „Es gibt eine Verschiebung im Geschäft, Bahntickets sind für uns kein strategisches Segment mehr“, sagt Heimann. Reine Zug- oder Flugbuchungen erfolgen nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) schon zu 76 Prozent online, auch reine Hotelreservierungen wandern zu spezialisierten Portalen ab.

„Wir wachsen mit dem Verkauf von Kreuzfahrten und erklärungsbedürftigen Reiseangeboten“, sagt Heimann. Dazu zählt die große Urlaubsreise mit Flug, Hotel und Extras wie einem Mietwagen – und zwar umso mehr, je ferner das Ziel und je höher der Reisepreis ist. Lediglich 29 Prozent der Reisepakete werden laut GfK online gekauft. Für den Haupturlaub wird eine Gelingengarantie gewünscht – oder zumindest eine Bestätigung von einem Verkäufer, dass die eigene Suche schon in die richtige Richtung geführt hat.

War in der Vergangenheit der Reisebüromitarbeiter Herr über die Urlaubskataloge, schauen Kunden jetzt nach langer Eigenrecherche vorbei. „Heute kommt der Kunde ins Reisebüro und hat sein Wunschhotel schon im Internet angeguckt“, berichtet Heimann. „Der Kunde ist viel anspruchsvoller geworden, hat viel mehr Detailfragen.“ Mit dem Herausziehen eines Katalogs ist es nicht mehr getan, die Regale mit Prospekten hat Heimann beim Umbau abräumen lassen.

„Wir wollen nicht bloß Reiseverkäufer, sondern Freizeitgestalter sein“, lautet seine Vision. Extras wie Ausflüge, die Urlauber in der Vergangenheit vor Ort planten und bezahlten, gehören nun mit zum Geschäft. Und dafür gehen die niedergelassenen Reisebüros selbst ins Netz – mit Apps und Online-Diensten. Der sogenannte „Concierge-Service“ funktioniere wie eine virtuelle Kundenkarte, erklärt Heimann. Wie Plastikkarten aller möglichen Händler soll er nicht nur dem Kunden nutzen, der Buchungen prüfen, Ergänzungen kaufen und Angebote für die Zukunft einholen kann, sondern auch den Reiseverkäufern. Lange fehlten ihnen systematische Angaben, was ein Kunde schon gebucht hat und was ihm noch gefallen könnte. „Online-Portale haben bislang viel mehr über ihre Kunden erfahren als wir. Wenn wir stationär nicht auf Augenhöhe mit denen agieren, würde es für uns schwierig“, sagt Heimann. „Bei aktuell im Durchschnitt 1,4 Reisebuchungen je Kunde im Jahr müssen wir unseren Überblick erweitern.“

Diesem Motto folgt auch eine weitere Neuerung. Heimann nutzt Technik, die Besucher daran erkennt, dass sie ein Smartphone in der Tasche haben. In 30 Reisebüros lässt er schon messen – anonymisiert. „Wir können so feststellen, wo und wie lange ein Kunde vor und im Reisebüro stehen bleibt“, erklärt Heimann. „So erfahren wir sogar, was am Sonntag vor dem Schaufenster passiert, wenn das Reisebüro geschlossen hat“, sagt er. Erste Ergebnisse haben selbst ihn überrascht. „Teilweise bleiben Leute 15 Minuten vor dem Reisebüro stehen.“ Ein Schluss daraus: Der Wert des Schaufensters wurde unterschätzt. Hinter der Glasscheibe lassen sich auf Bildschirmen mehr Informationen und Reiseangebote unterbringen als bislang. Für Pappaufsteller oder Aufblaspalme ist in der Reisebürozukunft weniger Platz.

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