Das doppelte Leid des Tourismus

F.A.Z. vom 25. Mai 2020 Urlaubsgedanken haben in der Krise ihre Leichtigkeit verloren. Mallorca, Kreta oder Hurghada – wo Erholung wann wie möglich ist, wird zum Sorgenthema. Die Branche ist härter getroffen als andere – und schlechter für Krisen gerüstet.

Für Kunden kommt die Nervenprobe dazu, dass man ihnen nach Ausfällen am liebsten nichts Bares, sondern Gutscheine zurückgeben will. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Not: Zahlten die Unternehmen alle Kunden aus, wären die Kassen leer. Ein Wirtschaftszweig stößt an seine Grenzen. Die deutsche Reisebranche ist über Jahre von Rekord zu Rekord geeilt. Bestmarken erreichte sie aber nur mit Umsätzen, nicht mit Überschüssen. 71 Millionen Urlaube im Wert von 69 Milliarden Euro gab es 2019, doch verdient hat die Branche wenig.

Die Krise wird zur Lehrstunde, wie es um den Tourismus steht: Es ist ein Geschäft mit Überangebot, ständigem Preiskampf, geringen Margen und einem Taktieren mit Fälligkeiten und Zahlungsfristen. In guten Zeiten kommen die meisten Beteiligten akzeptabel über die Runden. In schlechten Zeiten fehlen die Mittel überall. Das birgt die Gefahr von Kettenreaktionen. Kippt ein Reiseveranstalter, wanken Reisebüros und Hotels. Warnungen, wie fragil das Geschäft ist, gab es: Die Ferienflieger Air Berlin und Germania strauchelten, mehrere kleinere Reiseveranstalter schieden aus. Mit Thomas Cook brach die Nummer zwei zusammen. Dabei fielen in der Vergangenheit nur einzelne Ziele wegen Unruhen weg.

In der Corona-Krise steht alles still. Neugeschäft fehlt, vorherige Buchungen müssen rückabgewickelt werden. Eine Branche blutet aus. Dass das Reisegeschäft derart leidet, hat zwei Gründe. Die Branche ist härter getroffen als andere Wirtschaftszweige. Und sie ist schlechter für externe Schocks gerüstet.

Dennoch machen viele im Notfall eine schlechte Figur – wie auch die Bundesregierung. Schnell gab es KfW-Darlehen, die viele Betriebe kaum zurückzahlen könnten. Leichtfertig war es auch, Zwangsgutscheine zum Hilfsmittel erster Wahl zu erklären. Damit wäre die Linderung der Not von Betrieben auf Kunden übertragen worden. Umsatzausfälle der Unternehmen wären in die Zukunft verlagert, wenn Kunden Gutscheine einlösen. Dem EU-Recht widersprach das Vorhaben auch noch.

Einen fertigen Alternativplan hat die Regierung bis heute nicht. Stattdessen verstieg man sich zu absurden Plädoyers für Ferien auf dem Bauernhof. Dazu kamen vage Spekulationen, wie aussichtslos Pläne für Auslandsreisen seien. Wenig wurde über Unternehmen debattiert, viel über Urlauber. Dass sich rund 3 Millionen Menschen nicht zum Zeitvertreib, sondern zum Broterwerb mit Urlaub beschäftigen, schien am Rande des Vorstellbaren.

Reine Opfer sind Reiseunternehmen aber nicht. Die Branche holperte in die Krise. Einige Anbieter weigerten sich, das Wort „Corona“ zu erwähnen, bis die Reisewarnung, vermeintlich überraschend, hereinbrach. In letzter Minute brachte man noch Urlauber in die Ferne. Mehr Umsicht hätte Missstimmung verhindert. In der Krise gehört nun vieles auf den Prüfstand.

Die Branche muss neu erklären, wie ihre Risikoeinschätzungen entstehen. Zahlungsströme müssen neu geregelt werden. Es wirkt als Brandbeschleuniger in der Krise, dass ein Reisebüro erst eine Vergütung erhält, wenn ein Urlaub Monate nach erledigter Beratung tatsächlich beginnt. Abgeräumt gehört, dass Hoteliers zwei Monate nach dem Rückflug des Gastes ihr Geld bekommen, der Pauschalreisende aber einen Monat vor dem Hinflug komplett zahlt.

Weil Reiseveranstalter, befeuert durch Überkapazitäten, eine Schwemme ähnlicher Angebote in den Markt gedrückt haben, statt Exklusives zu fördern, haben sie den margenfressenden Preiskampf verschärft – kreative Zahlungsmodelle als Auswüchse inklusive. Auch die Zahl der mehr als 10 000 Reisevertriebsstellen ist sehr groß. Gäbe es einige weniger, hätten die verbleibenden mehr zum Leben. Die Krise droht nun unter den Anbietern auszusortieren, weil der Bund noch keine passgenauen Hilfen geliefert hat und weil überfällige Korrekturen in der Branche ausstehen.

Dazu sollte es die Regierung jetzt nicht kommen lassen, zu viele Existenzen sind in Gefahr. Einen Rettungsfonds, wenn er denn noch kommt, darf die Branche aber nicht als Signal missdeuten, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein und den Wandel aufschieben zu können. Grundsätzlich ermöglicht die Reiselust der Deutschen eine starke Reisebranche. Schon kurzfristig lässt sich etwas verbessern – von Politik und Unternehmen gemeinsam. Urlauber haben nach Wochen der Ungewissheit mehr Planungssicherheit verdient. Was aus Reisen ab dem 15. Juni wird, sollte nicht erst am 14. Juni, dem Ablaufdatum der Reisewarnung, bekanntwerden.  

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