Ab in den Urlaub

F.A.Z. WOCHE vom 12. Juni 2020 Die Reisebranche hofft, dass die Leute nach einer Phase der Einschränkungen im Sommer wieder rauswollen. Doch auch im Urlaub sollen sie sich nicht zu nahe kommen. Wie das Corona-Virus den Tourismus verändert.

Sogar an das Unterhaltungsprogramm hat Savvas Perdios gedacht. Wer in diesem Sommer im Urlaub auf Zypern Corona-Anzeichen hat, soll untersucht, gepflegt und möglicherweise isoliert werden, aber er soll sich nicht langweilen. „Wenn Urlauber Symptome zeigen, werden sie getestet und ziehen in spezielle Quarantäne-Hotels um. Wir sorgen auch für etwas Entertainment, das die Untergebrachten vom Balkon verfolgen können“, sagt der stellvertretende Tourismusminister des Inselstaates.

Und zur Kostenfalle soll eine Infektion auch nicht werden: „Wir übernehmen dann die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung im Quarantäne-Hotel.“ Unklar ist, was dieses Versprechen das Land kosten wird. Die Hoffnung lautet, dass es möglichst wenige oder keine Infektionen geben soll. Doch um das Vertrauen von Urlaubern zu bekommen, hält Perdios die Zusage wohl für nötig. „Es ist offensichtlich, dass wir am Beginn eines etwas anderen Sommers stehen. Wir müssen ehrlich sein und einsehen, dass das Virus nicht wie durch Magie verschwinden wird“, sagt er.

Zum Schaden der Tourismuswirtschaft soll es aber nicht länger sein. Jeder 18. Euro, der in Zypern zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, stammt direkt von einem Urlauber, in Deutschland ist es weniger als jeder 25. Euro. Rund um das Mittelmeer rüsten sich Länder, in denen die Gesundheit der Wirtschaft viel mehr vom Tourismus abhängt als in der Bundesrepublik, für die Rückkehr der Urlauber.

Auch Spanien, wo es vor allem im Landesinneren hohe Infektionszahlen gab, hat den Weg für einen schnellen Neustart auf Mallorca noch im Juni freigemacht. Malle gibt’s nur einmal im Jahr, das gilt auch 2020. Zunächst aber nur für einige tausend Besucher im Rahmen eines Pilotprojekts mit ausgewählten Hotels und Reiseveranstaltern.

Auch anderswo erklärt man sich bereit. „Ab dem 15. Juni ist Griechenland offen für Urlauber – zunächst mit einer geringeren Nachfrage, aber wir werden mit jedem Wochenende mehr Geschäft sehen“, sagt der griechische Tourismusminister Haris Theocharis. Los geht es an den Flughäfen von Athen und Saloniki, zum 1. Juli sind auch die Flughäfen von Kreta über Rhodos bis Mykonos erreichbar. „Wenn Flugzeuge landen und Hotels öffnen, wird auch die Nachfrage anziehen“, glaubt Theocharis.

In Kroatien ist man schon einen Schritt weiter, wie der dortige Amtskollege von Theocharis, Frano Matusic, erklärt: „Wir hatten zuletzt keine Neuinfektionen und Verstorbenen mehr im Land. Es gab einzelne eingereiste Infizierte, mit denen können wir umgehen.“ Cafés, Restaurants und Museen seien geöffnet, für Besucher aus zehn Ländern seien schon die Einreisebeschränkungen gefallen. „Ende des Monats werden wieder Flüge aus 20 europäischen Ländern landen, Kreuzfahrtschiffe werden wir ab Ende Juli erwarten.“

Mehr Abstand am Strand, mehr Tischbedienung im Hotelrestaurant, mehr Ärzte für Urlauber und für den Notfall mehr Intensivbetten in Krankenhäusern – das preisen alle Länder an. Dennoch soll das Urlaubern nicht permanent vor Augen geführt werden. „Wir haben die Insel aber nicht in ein großes Krankenhaus verwandelt. Wenn Reisende das im Urlaub wollten, dann würden sie ein Krankenhaus buchen“, sagt Zyprer Perdios.

Große Auswahl war vor der Krise

Für Weltenbummler bedeutet der Sommer nach dem Lockdown aber: Große Auswahl war vor der Krise. Reisefreiheit für Deutsche bedeutete, dass fast 200 Länder im Angebot waren – vom Handtuchplatz an der Playa de Palma über den Wellness-Aufenthalt in den Alpen und die Camper-Tour durch Amerika bis zur Expedition auf die Galapagos-Inseln. Den Rekordwert von 98,1 Milliarden Euro gaben die Deutschen laut Gesellschaft für Konsumforschung im vergangenen Jahr für Urlaub aus. 69,5 Milliarden Euro zahlten sie mit der Buchung daheim, die restlichen knapp 29 Milliarden Euro gaben sie während des Aufenthalts in der Ferne aus.

Spanien, Griechenland, Kroatien, Zypern und Bulgarien hoffen 2020 zumindest auf einen Teil dieses Geldes, andere Ziele wie die Karibik, Thailand und Nordafrika sind für Urlauber aber beinahe so unerreichbar wie der Mars. In Europa darf nun wieder gereist werden. Doch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) mahnt schon, das Ende der universellen Reisewarnung zum 15. Juni sei keine universelle Reiseeinladung.

Unter Touristikern kommt das nicht gut an. „Sicherheit ist kein Gegensatz zu Erholung. Vorsichtig zu sein und sich etwas anders zu verhalten widerspricht nicht der Absicht, Urlaub zu machen“, sagt Fritz Joussen, der Vorstandsvorsitzende des Reiseveranstalter-Marktführers TUI. Von Plädoyers wie von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), in den Ferien nicht allzu weit wegzufahren, hält er nichts: „In einem Biergarten in Bayern ist das Risiko genauso hoch wie an einem Reiseziel im Ausland.“

Der Deutsche Reiseverband hat unlängst ausgerechnet, dass es in Bayern aktuell so viele Infektionen gibt wie in Griechenland, Österreich und Kroatien zusammen. TUI-Chef Joussen braucht noch kurzentschlossene Neukunden, um Flugzeuge und Hotels zumindest auf ein auskömmliches Niveau zu füllen. Anfang Mai lagen nur 36 Prozent des Buchungsvolumens des Vorjahressommers vor. Für den Konzern, dem der Staat mit 1,8 Milliarden Euro an Krediten geholfen hat, ist das nicht genug – zumal der Bund nach langer Debatte noch nicht über einen Rettungsfonds entschieden hat, der die Rückzahlung einer Milliardensumme für ausgefallene Reisen der gesamten Branche vorfinanzieren und den Unternehmen Liquidität belassen könnte.

Neustart ja, aber schrittweise – so geht TUI vor. Urlauberflüge starten nicht am Morgen des 15. Juni, wenn die Corona-Reisewarnung wenige Stunden Vergangenheit ist. Vom 17. Juni an geht es nach Portugal, vom 20. Juni an nach Zypern, am Mallorca-Testlauf wird man beteiligt sein. Griechische Inseln steuern TUI-Jets zum 1. Juli wieder an. Ob die Türkei und Ägypten schnell wieder für jedermann erreichbar sind, ist noch offen. „Ende Juli werden wir wieder die Hälfte unseres Programms anbieten“, sagt Joussen mit Blick auf den deutschen Markt.

Das große Aufholen nach Monaten des Stillstands sähe anders aus, und für englische Kunden fällt es weitgehend aus. Großbritannien ist das Land mit den meisten Corona-Opfern in Europa. Auf 100 000 Einwohner kommen dort mehr als sechsmal so viele Verstorbene wie in Deutschland und etwa dreißigmal so viele wie in Griechenland oder Kroatien. Die Regierung in London hat gerade bekräftigt, alle Einreisenden – auch Rückkehrer – für 14 Tage in Quarantäne zu stecken. Massen von potentiellen Touristen werden so wohl gar nicht erst daran denken, sich auf den Weg zu machen. „Wir weisen keinen Flug ab und begrenzen auch nicht die Kapazitäten. Es werden aber wohl 40 bis 45 Prozent so viele Gäste wie im Vorjahr kommen, das ist das, was wir realistischerweise erwarten können“, schätzt Grieche Theocharis.

In Bulgarien stellt man sich auf einen Rückgang von 30 bis 40 Prozent allein bei Kunden aus Deutschland ein. In Kroatien sieht das optimistische Szenario 40 Prozent des Vorjahresniveaus vor, das pessimistische 30 Prozent. Für Zypern liegen die Werte noch niedriger. Als einen der größten Erfolge der vergangenen Jahre sah man dort, die Saison im Frühjahr nach vorn und im Herbst nach hinten verlängert zu haben. In Corona-Zeiten führte das zu noch größeren Einbußen. Realistisch seien für 2020 eher 25 Prozent der Vorjahreszahlen.

Mäßiges Geschäft wird zwangsläufig zum Vorzug umgedeutet. Minister Perdios sagt: „Die Ziele werden nicht überfüllt sein, Gäste können mehr von der Natur sehen, der Erholungswert wird größer sein. 2020 werden Urlauber als das Jahr mit einer besonderen psychischen Erholung nach drei Monaten des Lockdowns für immer erinnern.“ So wenig enervierendes Getümmel wie 2020 war sicher lange nicht – zumindest im Ausland.

Im Inland droht das Gegenteil. Scharbeutz an der Ostsee musste zu Pfingsten mit Sperren die Invasion der Tagesbesucher stoppen. Und wer noch ein Feriendomizil in bester Lage am deutschen Strand sucht, lernt, dass Stammgäste und Frühentschlossene längst viel gebucht haben. Deutschland war nie das vergessene Urlaubsziel, sondern stets Top-Eins-Destination der Deutschen, 26,4 Prozent überquerten 2019 im Haupturlaub keine Grenze.

Dieses Jahr dürften es mehr sein. Denn im Urlauberjet fliegt bei vielen die Angst mit. In der Flugzeugkabine wollen Airlines sich nicht verpflichten, den Nachbarsitz leer zu lassen. Mit freien Plätzen lässt sich kein Geld verdienen, ein Abstandsaufschlag lässt sich von Frühbuchern nicht mehr kassieren. Lufthansa-Chef Carsten Spohr scherzte schon keck, freie Nebensitze biete der Konzern schon ewig an, das nenne sich „Business-Class“. Die ist freilich nur etwas für zahlungskräftige Passagiere.

Sanfte Massenlenkung

Für die anderen gilt: Schutz soll die Maske geben. Im Zug wird es genauso sein, diskutiert wird aber vor allem über Flugzeuge. Die Branche hält dagegen, dass Klimaanlagen an Bord einen senkrechten Luftstrom erzeugten, ein Virus könne nicht durch die gesamte Kabine schweben. Zu Beginn der Corona-Krise hatten die Airlines Passagiere Aussteigerkarten ausfüllen lassen, um später Verdachtsfälle schnell aufspüren zu. Die Zettelwirtschaft entpuppte sich als Bürokratieprogramm, das stillschweigend beendet wurde. Es wurde nicht eine einzige Infektion an Bord festgestellt.

2020 wird für den Auslandstourismus ein kurzer Sommer. Und trotz aller Hoffnungen auf eine Erholung 2021 ist schon nahezu ausgemacht, dass die Branche schrumpfen wird. Zu Niedrigpreisen zu Sonnenstränden zu düsen war ohnehin vor allem deshalb möglich, weil sehr viele – zu viele – Flugzeuge bereitstanden. Nun sind die Fluggesellschaften die ersten mit konkreten Schrumpfplänen. Lufthansa plant, seine Flotte von 763 Jets um 100 Flugzeuge zu verkleinern. Bei TUI Fly kursiert ein Zielkonzept, das von 17 statt 35 Flugzeugen ausgeht. Vor der Corona-Krise sinnierte man noch über Expansion.

Pauschalreisen blieben eine starke Säule des Tourismus, glaubt der Zyprer Perdios. „Es gibt aber eine steigende Nachfrage nach einem individuelleren entschleunigten Tourismus mit Kunden, die Orte mit weniger Andrang suchen. Dieser Trend hat schon begonnen.“ Auch in Kroatien stellt man sich auf einen Wandel ein, an dessen Ende Urlaub seltener Schnäppchenware ist. Minister Matusic sieht das nicht als Nachteil. „Es wird eine neue Normalität geben. Urlaub muss dann nicht immer billig sein, wichtiger ist es, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten.“

In den vergangenen Jahren gab „Overtourism“, die Überflutung von Orten durch Gäste, auch in Kroatien, viel Debattenstoff; 2020 bleibt die Schwemme aus. Doch die Vergangenheit im vollen Dubrovnik war lehrreich. „In Dubrovnik hatten wir schon im vergangenen Jahr nicht mehr das Gedränge, das aus früheren Jahren bekannt war“, sagt Matusic. „Wir haben Maßnahmen ergriffen, Besucher bekommen auf ihr Smartphone die Information, wenn es an einem Ort besonders voll ist. Sie können dann später dorthin gehen und erst mal etwas anderes ansehen.“ In Corona-Zeiten soll das jetzt für Abstand sorgen.

Einen ähnlichen Weg geht man im Strandort Scharbeutz in Schleswig-Holstein. „Smart Crowd Control“ – sanfte Massenlenkung – heißt dort das Schlagwort. Im deutschen Tourismus-Förderprogramm LIFT wurde eine App konzipiert, die Sensordaten auswertet und anzeigt, wann kein zusätzlicher Gast mehr auf den Strand passt. Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), zeigte sich schon „begeistert, dass LIFT-Innovationen in herausfordernden Zeiten schnell und effizient an neue Anforderungen angepasst und ausgebaut werden“. Die Rezepte der Vergangenheit bleiben in der Zukunft des Tourismus überaus passend.

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